Frischzellenkur für das Bauwesen
Inga Stein-Barthelmes, Geschäftsführerin der jungen planen-bauen 4.0 GmbH und stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands Digitales Bauwesen (BDBau), spricht im Interview über die Chancen und Herausforderungen von ConTech-Start-ups
ConTech-Start-ups treten an, um die Bauwirtschaft zu digitalisieren. Ihre vielfältigen Lösungen reichen vom Building Information Modeling (BIM) über vernetzte Plattformen zur Koordination komplexer Bauprojekte hin zur sensorischen Überwachung von Hoch- und Tiefbauten oder auch zu Automatisierungslösungen für Baustellen. Im Interview spricht Inga Stein-Barthelmes, die den Bausektor als Geschäftsführerin der jungen planen-bauen 4.0 GmbH sowie als stellvertretene Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands Digitales Bauwesen (BDBau) aus dem Effeff kennt, über die Chancen und Herausforderungen für Start-ups im Bauwesen.
Nach Stationen in Kammern, Verbänden, als Geschäftsführerin junger Unternehmen und durch ihr aktuelles Engagement im BDBau kennen Sie die Bauwirtschaft aus vielen Perspektiven. Wie offen ist die Branche für Innovationen und digitale Lösungen?
Bauunternehmen und ausführende Gewerke reagieren anfangs oft verhalten auf digitale Innovationen. Solange ihr bisheriges Herangehen trägt, müssen sie nichts ändern. Doch regulatorisch und vom Fachkräftemangel her steigt der Leidensdruck. Als Bundesverband Digitales Bauwesen führen wir beide Welten zusammen. ConTech-Start-ups bringen zwar sehr viele Innovationen hervor, oft fehlt ihnen aber der Zugang zu etablierten Akteuren. Wir möchten erreichen, dass sich bewegliche Start-ups und große Tanker gegenseitig auf Kurs bringen. Die Branche braucht auch im Wettbewerb um Nachwuchskräfte einen Innovations- und Digitalisierungsschub, um ihnen attraktivere Jobs mit besseren Arbeitsbedingungen bieten zu können. ConTech-Start-ups können viel zur Modernisierung und Imageverbesserung des Bauwesens beitragen.
Welche Bereiche summieren Sie unter dem Begriff ConTech?
Es geht um Construction und Technology – also um alle Technologien, die zur Planung und Umsetzung von Hoch- und Tiefbauten genutzt werden. Es geht nicht um die Immobilienwirtschaft, sondern um das Bauwesen. Angefangen mit Software für Architektur und Projektplanung, Plattformen zur Koordination komplexer Bauprojekte, BIM-Lösungen und digitalen Zwillingen bis hin zu digital getriebenen Automatisierungslösungen für die Bauausführung. All diese Lösungen tragen zur Vereinfachung der Abläufe am Bau bei.
Bau- und Planungssoftware gibt es seit den 1980er Jahren. Warum steht die Digitalisierung im Bauwesen dennoch erst am Anfang?
Das Thema ist komplex und erfordert ein Umdenken aller Beteiligten. Es gibt bei einigen Akteuren die Sorge, dass durch die Digitalisierung Jobs wegfallen oder sie ihr Geschäft verlieren. Andererseits gab es das politische Ziel, bis 2021 für öffentliche Bauprojekte den Einsatz von BIM-Lösungen vorzuschreiben, um die Effizienz, Kostenkontrolle und Dokumentation zu verbessern. Doch bei der Einführung hat es an Konsequenz der öffentlichen Hand gefehlt. Die Regelung wurde per Stufenplan aufgeweicht und soll nun – erneut mit Ausnahmen – bis 2025 greifen. Ich denke, dass es an klarer Regulierung und Standardisierung fehlt. Wer einmal mit BIM-Lösungen gearbeitet hat, macht damit weiter, weil es die Prozesse für alle beteiligten Gewerke so enorm vereinfacht. Die öffentliche Hand sollte mit gutem Beispiel vorangehen, um zu zeigen, dass – und wie gut es funktioniert. Dann wird auch die mittelständische Bauwirtschaft nachziehen.
Ausgerechnet Start-ups mit jungen, oft unerfahrenen Teams sollen dem Bau bei Effizienz, Geschwindigkeit, Individualisierung und Qualität auf die Sprünge helfen. Was prädestiniert sie dafür?
Sie gehen Themen oft unbelastet und mit unverstelltem Blick an – und spüren dabei Verbesserungs- und Effizienzpotenziale auf. Sie pushen mit ihren Ideen, die überfällige Modernisierung der Branche. Wenn Automatisierung die Anteile monotoner, körperlich anstrengender Arbeit senkt, können die Beschäftigten sich interessanteren Aufgaben widmen. So steigt letztlich auch die Qualität der Ausführung. Gleiches gilt für BIM-Software, die in Modellen den Projektstand, Absprachen und Verantwortlichkeiten dokumentiert und damit unproduktiven Bausitzungen mit endlosen Auseinandersetzungen vorbeugt. Von Start-ups geht eine Innovationskraft aus, die vor allem die Großunternehmen aufmerken lässt. Sie haben mittlerweile Scouts, die die Szene beobachten und sich auf Messen und Veranstaltungen nach spannenden Teams und Ideen umsehen.
Sehen Sie auch in der wachsenden Vielfalt an ConTech-Start-ups ein Anzeichen für eine wachsende Innovationskultur in der Bauwirtschaft?
Ich denke, dass junge Leute, die sich mit Bauthemen befassen, in der Branche schnell auf Verbesserungspotenziale stoßen. Mit ihren Ideen machen sie sich heute schneller selbstständig, als es vor einigen Jahren der Fall war. Zugleich registrieren sie, dass sich die Branche nach und nach für ihre Ideen öffnet. Auf vielen Messen und Veranstaltungen gibt es mittlerweile gezielte Angebote und Veranstaltungsformate für Start-ups, auf denen sie ihre potenzielle Kundschaft aus der Bauwirtschaft treffen. Als Interessenvertretung der ConTech-Start-ups ist der BDBau in viele dieser Veranstaltungen involviert. Denn wir treten ja mit dem Ziel an, junge und etablierte Unternehmen zu vernetzen.
Als Geschäftsführerin der planen-bauen 4.0 GmbH agieren sie selbst an der Spitze eines ConTech-Start-ups. Welche Hürden begegnen Ihnen und anderen jungen Firmen im BDBau beim Markteintritt?
Unser Unternehmen ist 2015 auf politischen Wunsch hin entstanden. Es gab in der „Reformkommission Großprojekte“ die Erkenntnis, dass BIM und andere digitale Ansätze viel Potenzial für die Wertschöpfungsketten am Bau bergen. Anstatt einen weiteren Verband mit neuen Gremien und Eigeninteressen ins Leben zu rufen, gab es die Idee eine GmbH zu gründen, die gemeinnützig agiert und deren Aufgabe es ist, die Digitalisierung der Wertschöpfungsketten Bau auf allen Ebenen zu forcieren. Gewinne müssen wir zweckgebunden in dieses Anliegen reinvestieren. Zu unseren rund 60 Gesellschaftern zählen Verbände sowie private Bauunternehmen. Das verleiht uns Neutralität, die bei unseren Veranstaltungen, Forschungsprojekten und Plattformen zum Thema BIM hilft. In den meisten Projekten geht es darum, die öffentliche Hand BIM-tauglich zu machen, um öffentliche Bauprojekte nachhaltig zu beschleunigen. Zugleich gilt es, das gewonnene Know-how effizient zu transferieren. Dafür leiten wir unter anderem die Geschäftsstelle des Kompetenzzentrums BIM Deutschland des Bundes. Das Ziel ist höhere Dynamik in der Digitalisierung. Die öffentliche Hand, private Bauunternehmen und Start-ups können hier gemeinsam viel erreichen.
Abschlussfrage: Was raten Sie Teams, die ein ConTech-Start-up gründen möchten?
Machen! Sie sollen loslegen und ihre Ideen ausprobieren. Denn die Offenheit für digitale Ansätze wird weiter zunehmen. Das Bauwesen braucht eine große Vielfalt an unterschiedlichen Lösungen für verschiedenste Projekte im Hoch- wie im Tiefbau, sowie für die Planung und Ausführung. Zudem gibt es heute vielfältige Unterstützungsangebote für alle Gründungsphasen, zu denen sich auch der BDBau zählt. Als Verband setzen wir uns gezielt für die Interessen von ConTech-Start-ups ein.
Zur Person:
Stein-Barthelmes ist stellvertretene Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands Digitales Bauwesen (BDBau), der sich als Interessenvertretung von und für ConTech-Start-ups versteht. Die studierte Volkswirtschaftlerin blickt auf Stationen im Bundesverband der Deutschen Industrie, in der Bundesarchitektenkammer und deren Ausgründung D.A.V.I.D GmbH sowie im Hauptverband der Deutschen Bauindustrie zurück. Seit September 2021 ist sie Geschäftsführerin der 2015 gegründeten planen-bauen 4.0 GmbH, die sie im Zuge ihrer Verbandstätigkeit von Anfang an eng begleitet hat.
Von Peter Trechow für CHIC!