KI für additive Fertigungsprozesse
Die 1000 Kelvin GmbH aus dem Charlottenburger Innovations-Centrum ist mit ihrer Software für selektive Laserschmelzprozesse auf Wachstumskurs
Die 1000 Kelvin GmbH aus dem Charlottenburger Innovations-Centrum (CHIC) ist auf Wachstumskurs. Sie nutzt künstliche Intelligenz (KI), um die Qualität von additiv gefertigten Metallbauteilen zu optimieren und um den Nachbearbeitungsaufwand zu reduzieren. Dagegen erweist sich die Verstärkung des Teams mit hochqualifizierten Fachkräften als zeitintensive Herausforderung.
In selektiven Laserschmelzprozessen werden die Träume vom perfekt geformten Bauteil wahr. In der Theorie zumindest. Denn wo Laser hauchdünn ausgebreitetes, mikrometerfeines Metallpulver in zehntausenden Wiederholungen Schicht für Schicht zum Bauteil verschmelzen, wo sie also ein Bauteil generieren, statt es aus einem Metallblock zu fräsen oder aus einem Blech zu stanzen, da sind der Formgebung keine Grenzen gesetzt. Hohlräume, Gitterstrukturen und bewegliche Teile im Inneren, Überhänge oder variierende Wandstärken – alles scheint machbar. Wer konstruktiv umdenkt und die Möglichkeiten zur Funktionsintegration konsequent nutzt, kann Baugruppen zu additiv gefertigten Einzelteilen fusionieren. Montage- und Lagerkosten entfallen; erst recht lohnt sich das, wenn in stark regulierten Branchen wie der Luftfahrt und Medizintechnik statt Dutzender nur eine Handvoll Komponenten zertifiziert werden müssen. Oder wenn sich Implantate exakt an individuelle körperliche Voraussetzungen anpassen lassen, statt Normgrößen zu genügen.
Die Technologie ist wegen dieser Vorteile seit Jahren auf dem Vormarsch. Doch Träume erfüllt sie nur bedingt. Denn was in der Theorie so einfach klingt, sorgt in der praktischen Umsetzung oft für Ernüchterung. So wächst zwar das Angebot an Metalllegierungen. Doch die Pulver haben ihren Preis – und nicht wenig davon wird in aufwendigen Stützstrukturen aufgeschmolzen: Denn auch in selektiven Laserschmelzprozessen gelten die Gesetze der Schwerkraft. Die Stützstrukturen binden nicht nur Material, sondern sie müssen nach dem Fertigungsprozess oft in mühevoller Handarbeit vom eigentlichen Bauteil getrennt werden. Je filigraner die Konstruktion, desto häufiger kommt es in dieser Nachbearbeitung zum Totalschaden – und der zeitaufwendige Laserschmelzprozess muss von Neuem beginnen. Nicht nur in der Nachbearbeitung erweist sich die additive Fertigung als störanfällig. Auch der Laserprozess selbst hat seine Tücken. Gerade wenn das Licht auf engem Raum zu schnell zu viel Energie ins Pulver einbringt, kommt es zu irreparablen Fehlern im Bauteil.
Mit ihrem Start-up 1000 Kelvin gehen die promovierte Quantenphysikerin Katharina Eissing und der ebenfalls promovierte Maschinenbauingenieur Omar Fergani diese Probleme systematisch an. Die beiden hatten sich vor der Gründung im Bereich Additive Manufacturing (AM) der Siemens AG kennen- und schätzen gelernt. Dort und auf früheren Industriestationen waren sie auf die Probleme der Verfahren und deren Ursachen aufmerksam geworden – und sahen einen Lösungsansatz im Einsatz von künstlicher Intelligenz. Seit Frühjahr 2021 setzen sie diese Idee im CHIC um und kommen dabei mit großen Schritten voran. Ihr Team wächst. Ihre Softwarelösung AMAIZE ist im Markt und erfreut sich starker internationaler Nachfrage.
Die KI ist einerseits der Schlüssel, um die sehr rechenintensive, durch Modellierungen unterstützte Erstellung der digitalen Druckvorlagen umzusetzen. Unter anderem setzt das Team hierzu auf die Dynamisierung per Parallel Computing. Dabei liefern Grafikprozessoren ein Gutteil der Leistung, um die Performance zu steigern. Das ist die Basis dafür, dass die Software die Bauteilentstehung im Pulverbett präzise durchkalkuliert und so beispielsweise den Einsatz von Stützstrukturen auf das tatsächlich notwendige Maß reduzieren kann.
„Zugleich erkennt unser KI-basierter Co-Pilot schon vor dem Beginn des Laserschmelzprozesses, ob und wo genau durch die Laserleistung eine thermische Überlastung droht“, erklärt Eissing. Dank der präzisen Vorhersagen könnten die Anwender ihrer KI-getriebenen Softwareplattform nun Prozessstrategien wählen, mit denen sie etwaige Fehlerquellen von vornherein eliminieren. Zusätzlich dokumentiere ihre Software die „thermische Historie“ der Bauteile im laufenden Prozess.
Die Markteinführung läuft im dritten Jahr nach der Gründung wie am Schnürchen. Schwieriger ist es dagegen, das Wachstum personell zu stemmen. „Obwohl wir international suchen und jede Gelegenheit nutzen, um auf Messen und Tagungen sowie in den sozialen Medien auf unsere Stellenangebote hinzuweisen, dauert es lange, geeignete Fachkräfte zu finden“, erklärt Eissing. Auf elf Beschäftigte ist 1000 Kelvin gewachsen. Es könnten und sollten einige mehr sein. Auch wenn Berlin ein Standort mit Anziehungskraft ist, ist das Recruitment schwierig. In der Stadt selbst findet das Team kaum passende Talente. Das macht es kompliziert. Denn ein Umzug samt Zurücklassen des sozialen Umfelds für einen neuen Job birgt große Risiken.
Technologieunternehmen wie 1000 Kelvin werben um Fachleute, die aktuell freie Berufswahl haben. Ein Berliner Start-up – so erfolgreich es sein mag – hat da nicht die besten Karten. Entsprechend mahnt Eissing bessere Qualifizierung an. „Mit Blick auf KI und Entrepreneurship-Ausbildung haben andere Hochschulstandorte die Nase vorn“, kritisiert sie. Hier gelte es nachzubessern, damit Berlin in wichtigen Zukunftsfeldern wettbewerbsfähig bleibt.
Peter Trechow für POTENZIAL