100 Jahre Innovation aus Adlershof
Aufbrüche, Umbrüche und der Wille, etwas zu tun von Hardy Rudolf Schmitz, Geschäftsführer der WISTA-MANAGEMENT GMBH
(Ansprache anlässlich des “International Colloquium on Science Parks Berlin-Adlershof, 9. September 2009)
Berlin Adlershof kann in diesem Monat ein rundes Jubiläum feiern: seinen 100. Geburtstag als Standort für Wissenschaft und Technik, für Forschung und Entwicklung, für Erfinder- und Pioniergeist – als Standort für Aufbrüche, Umbrüche und Entschlusskraft.
Wissenschafts- und Technologieparks sind in vielem vergleichbar. Und doch sind sie wie Individuen mit unterschiedlichen Begabungen. Sie kommen aus unterschiedlichen Kinderstuben, sind eigenwillig, unangepasst, immer auf der Suche nach Lösungen für Ihren großen Auftrag. Sie sind oft das Resultat weitsichtiger politischer Entscheidungen. Sie sind ein Paradox, weil staatlich geplant und auch finanziert und doch die Startbahn für einen marktwirtschaftlichen Höhenflug.
Wissenschafts- und Technologieparks sind oft aus der Not geboren worden, zum Beispiel, wenn alte Industrien verschwinden - wie in North Carolina in den USA, wo man sich vor 50 Jahren Gedanken machen musste, was nach der Tabak-, der Möbel- und der Bekleidungsindustrie kommen soll. Verlassene Stadtquartiere, wie vielleicht in Manchester und Birmingham. Oder hier bei uns in Berlin, wo nach der Wiedervereinigung Deutschlands im Osten und Westen die alte Industriesubstanz zusammenbrach, weil sie nicht wettbewerbsfähig war.
Hier wie dort besann man sich des wertvollsten Kapitals, über das man verfügt, nämlich das Wissen in den Köpfen der Menschen. In North Carolina waren es drei exzellente Universitäten, die deren Dreieck mit dem Aufbau des mittlerweile größten amerikanischen Wissenschafts- und Technologieparks begonnen wurde. Bei uns in Adlershof war es das Potenzial der ostdeutschen Akademie der Wissenschaften, in dessen Umfeld wir vor 18 Jahren mit dem Aufbau eines Wissenschafts- und Technologieparks begannen, der heute der größte seiner Art in Deutschland ist.
Aufbrüche, Umbrüche und Entschlusskraft: Ich will mit den Aufbrüchen beginnen: Es war am 26. September 1909, als hier auf diesem Gelände – damals trug es noch den Namen Johannisthal - Deutschlands erster Motorflugplatz mit einer eindrucksvollen Flugschau den Betrieb aufnahm. Ein privater Unternehmer gab die Initiative. Kurz darauf wollte das deutsche Kaiserreich den Beweis antreten, dass sie nicht nur in der Lage sind, imposante Zeppeline zu bauen, sondern auch Motorflugzeuge. Da machten Ihnen die Engländer, Franzosen und vor allem die Amerikaner etwas vor, allen voran die Gebrüder Wright.
Binnen kurzer Zeit siedelte sich hier in Adlershof alles an, was in der jungen deutschen Luftfahrtbranche Rang und Namen hatte: Albatros, Fokker, Rumpler und die Wright Flugmaschinen GmbH. Die Gebrüder Wright hatten hier in Adlershof 60 Flugzeuge gebaut.
Wer vor dem Ersten Weltkrieg in Deutschland seinen Pilotenschein machen wollte, musste das auf einem Wright-Flyer oder der Rumpler-Taube machen.
1912 wurde die Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt (DVL) gegründet und hier angesiedelt. Sie begründete die Tradition der deutschen Luftfahrtforschung. Aus ihr ging nach dem Zweiten Weltkrieg das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hervor, welches hier in Adlershof ebenfalls vertreten ist.
Das war der Aufbruch. Wenige Jahre später schien wieder alles zerstört zu sein, auch wenn der Erste Weltkrieg Adlershof zunächst einen grandiosen Aufstieg bescherte. Hier wurden über 6000 Kampfflugzeuge gebaut. Es folgte ein grandioser Absturz, als nämlich 1919 der Versailler Friedensvertrag der jungen deutschen Luftfahrtbranche beinahe den Todesstoß versetzte. Die Tatsache, dass die Geschichte Adlershofs weiterging, ist der Entschlusskraft der Menschen zu verdanken, ihrem Willen, etwas Neues zu wagen, nach Auswegen zu suchen und diese auch zu finden.
Als keine Militärflugzeuge mehr gebraucht wurden, bauten sie kurzerhand die Flugzeuge um, setzten Passagiere in die einstigen Maschinengewehrgondeln und eröffneten 1919 die erste deutsche Passagierfluglinie von Berlin nach Weimar. Dafür hatte man eigens eine Fluggesellschaft gegründet, aus der übrigens 1926 die „Deutsche Luft Hansa“ hervorging. Als klar wurde, dass es nach 1919 keine militärische Luftfahrtforschung mehr geben sollte, richtete man in den leeren Hangars Filmstudios ein und drehte dort Hunderte von Spielfilmen, darunter Klassiker wie Friedrich Wilhelm Murnaus „Nosferatu“. Oder man baute Autos. Ein pfiffiger Unternehmer hatte ein Verfahren der Blechbearbeitung aus den USA mitgebracht. 1929 rollte hier in Adlershof der erste PKW vom Band, ein legendäres Auto mit Namen „Dixi“, gebaut von BMW.
Wenig später zogen erneut dunkle Wolken über Adlershof auf. 1933 kamen die Nationalsozialisten an die Macht. Fortan stand dieses Gelände wieder ganz im Zeichen der Aufrüstung. Es sind damals bahnbrechende Forschungen gemacht worden, was vor allem die Entwicklung der ganz schnellen Flugzeuge betraf. Auf diesem Gebiet war Deutschland führend. Aber alle diese Forschungen dienten letzten Endes einem verbrecherischen Regime. In Adlershof wurden natürlich auch Kampfflugzeuge gebaut. In Adlershof schufteten Zwangsarbeiter für die Verlängerung eines Kriegs, der längst verloren war.
Im Mai 1945 ging der Krieg zu Ende und mit ihm Luftfahrtgeschichte in Adlershof. Was von der Luftfahrtforschung geblieben war, wurde demontiert und in die Sowjetunion gebracht. Wenige Jahre später war aus diesem radikalen Umbruch wieder ein Aufbruch geworden, denn das Gelände fand schnell neue Nutzer. Adlershof gehörte nun zum sowjetischen Sektor Berlins. Für die nächsten 45 Jahre prägten drei Einrichtungen das Bild von Adlershof:
Das war zunächst die Preußische Akademie der Wissenschaften: 1946 hatte die sowjetische Besatzungsmacht deren Wiedergründung befohlen (So einfach war das!). Aus der preußischen wurde 1949 die Deutsche Akademie der Wissenschaften und 1973 die Akademie der Wissenschaften der DDR. Sie folgte dem sowjetischen Vorbild und wurden operative Forschungseinrichtungen mit großer Nähe zur Industrie. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, denn später einmal sollte sich das als großer Vorteil erweisen.
In der ostdeutschen Akademie arbeiten 24.000 Menschen, 5.500 davon in Adlershof, darunter 4.100 hoch qualifizierte Wissenschaftler. Der Standort wurde zu einem der wichtigsten naturwissenschaftlichen Forschungszentren Ostdeutschlands und erwarb sich schnell einen guten Ruf zum Beispiel in der Optik, in der Chemie, in der Material- und nicht zuletzt auch in der Weltraumforschung.
Gleich nebenan wurde das Zentrum des staatlichen ostdeutschen Fernsehens aufgebaut. Außerdem stationierte das ostdeutsche Ministerium für Staatssicherheit in Adlershof ein Wachregiment. In Adlershof arbeiteten 1989 nicht weniger als 10.000 Menschen, weitgehend abgeschirmt von der Öffentlichkeit.
Die DDR hatte in ihrer fast vierzigjährigen Geschichte mit massiven wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen. Die Wissenschaft versuchte, der staatlich gelenkten Wirtschaft zu helfen, wichtige Erfindungen wurden gemacht. Am Ende aber arbeiteten die klugen Köpfe Adlershofs an einem Ort, der wie viele Orte Ostdeutschlands aussah: ramponiert. Wirtschaftlich war das Land ruiniert.
1989, vor zwanzig Jahren, fiel die Berliner Mauer. Die Berliner lagen sich erleichtert in den Armen. Sie freuten sich, der Stress des Kalten Krieges war vorbei. Ganz Deutschland war euphorisch. Aber sehr schnell wurde klar, dass niemand auf die Wiedervereinigung vorbereitet war. Sie musste aber gelingen – und zwar schnell.
Was passierte? Am 3. Oktober 1990 wurde Ostdeutschland über Nacht ein Teil Westdeutschlands. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und föderaler Staat. Wir haben keine nationale Akademie der Wissenschaften, kein staatlich gelenktes Fernsehen und keine Stasi. Alle diese ostdeutschen Einrichtrungen wurden daher aufgelöst. Für Adlershof hätte das das Ende bedeutet.
Die Forschungseinrichtungen der ostdeutschen Akademie wurden 1991 evaluiert. Die Gutachter waren von der Qualität der Forschung beeindruckt. Damals tauchten die ersten Vorschläge auf, in Adlershof einen Technologiepark aufzubauen Aber am Ende konnten nur 1.300 von einst 5.500 Beschäftigten ihre bisherige Arbeit fortsetzen. Die anderen mussten sich entweder neuen Job zu suchen oder eine Firma gründen.
Das Gelände der Akademie in Adlershof wurde 1991 der Stadt Berlin übergeben, die zugleich einer der 16 Bundesstaaten des wiedervereinigten Deutschlands ist. Einerseits herrschte in der Stadt große Euphorie. Man träumte von einer Weltmetropole zwischen Ost und West mit über fünf Millionen Einwohnern. Und man träumte von einer blühenden Wirtschaft. Jedoch zugleich verlor die Stadt 60 Prozent ihrer industriellen Arbeitsplätze. In Ost-Berlin war es noch schlimmer: Hier ging bis zu 80 Prozent der Industrie verloren.
Neue, moderne Industrien mussten aufgebaut werden. Es war klar, dass diese Industrien im unmittelbaren Umfeld der Wissenschaft entstehen müssen, denn Berlin hat hier eine einzigartiges Angebot, zum Beispiel in Adlershof. Insofern war es klug und konsequent, dass ein Kreis hochrangiger Berliner Politiker, Beamter und Wissenschaftler im März 1991anregte, hier eine „integrierte Landschaft aus Wirtschaft und Wissenschaft“ entstehen zu lassen. Das war die Geburtsstunde des Wissenschafts- und Technologieparks, der Aufbruch in ein völlig neues Adlershof.
Alles begann mit den wissenschaftlichen Instituten. Heute gibt es hier elf außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, acht davon sind aus der einstigen DDR-Akademie hervorgegangen. Ihre Leistungen werden international anerkannt. Um die Wissenschaftsdichte weiter zu erhöhen, hat das Land Berlin entschieden, die naturwissenschaftlichen Institute der Humboldt-Universität zu Berlin nach Adlershof zu verlagern. Die Universität erhielt einen völlig neuen Campus – mit sechs Instituten und einer phantastisch ausgestatteten Bibliothek, mit 140 Professoren und über 6.700 Studenten!
Der wirtschaftliche Aufbau Adlershofs war dagegen ein völliger Neubeginn. Warum? Hier gab es keine Wirtschaft. Privates Unternehmertum war in Ostdeutschland verpönt. Es wurde unterdrückt, ja sogar verboten. Ein Professor als Unternehmer? Undenkbar! Nun also sollte genau das Gegenteil passieren: Es waren Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften, die als erste den Weg in die Selbstständigkeit wagten, weil sie ihre Jobs verloren hatten, weil sie ihre Chance erkannten. So mancher machte sich auf den Weg in die Marktwirtschaft mit nichts mehr als einer Blaupause im Kopf – und mit dem unbedingten Willen etwas zu tun. Die Politik half mit einem Gründerzentrum und dem Aufbau von spezialisierten Technologiezentren für die Wachstumsfelder von Adlershof.
Wir haben heute ca. 800 Unternehmen in unserem Technologiepark und in dem ihn unmittelbar umgebenden Entwicklungsgebiet, darunter 400 hoch spezialisierte Technik-Unternehmen. Nach knapp 20 Jahren arbeiten ca. 12.500 Mitarbeiter in der neu geschaffenen Industrie.
Hinzu kommen rund 2.400 Beschäftigte in der Wissenschaft. Zwei Drittel der Wirtschaftskraft Adlershofs kommt aus den Unternehmen. Das jährliche Wachstum lag bislang immer zwischen fünf und zehn Prozent. Der Anteil öffentlicher Förderung an den Umsätzen sank bis 2008 auf nur 4,6 Prozent; die Insolvenzquote ist mit unter einem Prozent sensationell niedrig. Etliche Untenehmen haben es in ihren speziellen Nischen zu führender Position auf dem Weltmarkt gebracht.
Die WISTA-MANAGEMENT GMBH, die Gesellschaft für die ich hier spreche, wurde im September 1991 gegründet. Das Land Berlin – unser Eigentümer - hat uns den Auftrag erteilt, aus Adlershof einen Technologiepark zu machen. Das bedeutet: Sanieren, abreißen, neu bauen und nach Unternehmen Ausschau halten, die zum Profil von Adlershof passen – die also mit den wissenschaftlichen Leitthemen dieses Standortes zu tun haben: mit Licht, mit Materialen und mit Modellen. Die Infrastruktur und der Städtebau wurden sorgfältig geplant.
Seit 1991 hat sich das Gesicht von Adlershof grundlegend gewandelt. Die Infrastruktur ist saniert, ein Großteil der maroden Gebäude wurde abgerissen. An ihre Stelle ließen wir hochmoderne Technologiezentren errichten: Den Anfang machte das Innovations- und Gründer-Zentrum (IGZ). Es folgten Zentren für Photonik und Optik, für Umwelt, Bio- und Energietechnologie, für Informations- und Medientechnologie, für Material- und Mikrosystemtechnologie und für Nachhaltige Technologien. Bis 2011 werden drei weitere Zentren hinzukommen: eines für Mikrosysteme und Materialen, eines für IT und Medien und eines für Photovoltaik.
Seither sind wir der Kern einer Stadt für Wissenschaft, Wirtschaft und Medien mit einer Fläche von 4,2 km². Zu dieser „Stadt in der Stadt“ zählen auch Berlins größter Medienstandort - dort wo früher das ostdeutsche Fernsehen war - ein großer Landschaftspark – wo früher der Flugplatz war, ein Wohngebiet und viel Platz für Wachstum.
Adlershof wurde klug und großzügig geplant. Ausgehend vom Technologiepark als dem Kern der Entwicklung können wir heute über 60 ha Fläche anbieten. Diese Flächen werden von der öffentlichen Hand erschlossen. Die Immobilienwirtschaft entdeckt Adlershof. So können Sie hier in Adlershof studieren, ein Unternehmen gründen, es wachsen zu lassen und eine eigene Fabrik zu bauen. Adlershof wird in den nächsten Jahren auch zu einem bedeutenden Produktionsstandort werden; zwei große Solarunternehmen – Solon und die hier gegründete Sulfurcell – belegen das eindrucksvoll.
Aufbrüche, Umbrüche und der Wille, etwas zu tun – und das: schließlich mit Erfolg: Adlershof ist ein Ort der Aufbrüche, der Umbrüche und des festen Willens, etwas Neues zu wagen. Gerade jetzt, jetzt in Krisenzeiten bewährt sich das Konzept: Unsere Unternehmen leben zwar nicht auf einer Insel der Glückseligkeit, aber die Auswirkungen der Krise sind hier geringer als sonst wo.
Was macht den Erfolg eines Technologieparks aus? Wenn ich es mit einem Wort umschreiben müsste, würde den Begriff „Nachbarschaft“ wählen. Nachbarschaft heißt Nähe und Austausch, heißt Plattformen bieten für Diskussionen und Kooperationen, heißt Vernetzung, Transfer und Interdisziplinarität. Es ist das Zusammengehen von Wissenschaft, Forschung und Anwendung, von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik.
Die „integrierte Landschaft aus Wirtschaft und Wissenschaft“ wurde gründlich geplant, an ihren Entwürfen lange gefeilt. Ein breiter politischer Rückhalt und konsequentes politisches Handeln sorgten dafür, dass wichtige Entscheidungen auch umgesetzt werden konnten.
In das Vorhaben Adlershof ist viel Geld investiert worden, rund 1,7 Milliarden Euro seit 1991. Vier Fünftel des Geldes stammt aus den unterschiedlichsten öffentlichen Quellen. Das ist gut angelegtes Geld: Adlershof, die Menschen und die ansässigen Unternehmen tragen inzwischen mit jährlich über einer Milliarde Euro zum Brutto-Inlandsprodukt des Landes Berlin bei.
Aber, wenn ich einen Blick auf die kommenden fünf Jahre werfe, dann werden hier voraussichtlich 500 Millionen Euro investiert, 350 Millionen davon aus privaten Quellen. Viele große Namen entdecken Adlershof.
Adlershof bekam für Wachstum mehr Zeit als bei privaten Entwicklern die Rentabilitätszyklen zulassen. Adlershof konnte sich organisch entwickeln. Es entstand keine den konjunkturellen Ausschlägen schutzlos ausgelieferte Monokultur. Das Portfolio der Adlershofer Unternehmen ist stabil und dynamisch zugleich. Und was diese Unternehmen bauen sind neue Industrien, Industrien der Wissensgesellschaft – wie zum Beispiel in der Optik, der Photonik, der Photovoltaik oder in der Mikrosystemtechnologie. Hier fokussieren wir genau. Unser Vertrieb und unsere Investitionen sind auf diese schnell wachsenden Branchen gerichtet. Daher wachsen wir, trotz der Krise. Wir können und werden uns in den nächsten zehn Jahren verdoppeln.