3 + 1 macht 4 widdewidde wird jetzt zur Familie: Wann sind wir komplett
Essay von Elina Penner, freie Autorin und Leiterin der Berliner Elternplattform „Hauptstadtmutti“
Ein ganz kleines bisschen dicker wird das sogenannte Fell nach der Geburt des zweiten Kindes. Im Hinterkopf ruht die Gewissheit, dass man das ja schon einmal geschafft hat. Lanolin, Pucken und Fliegergriff sind keine kompletten Fremdwörter mehr und auch die gutgemeinten Ratschläge sowie die nebenher kommentierenden Sprüche perlen ein bisschen schneller an der schon etablierten elterlichen Teflon-Schicht ab. In der Theorie.
In der Praxis blieb ich dann bei genau einem dieser Kommentare nicht ganz so abgebrüht und tiefenentspannt. Dieser eine Spruch, der bejahend, zustimmend und positiv gemeint war. Wenige Wochen nach der Geburt des zweiten Kindes wurde mir nebenher gesagt, dass „alles unter zwei Kindern keine Familie ist” – als Glückwunsch!
Ein Spruch wie ein rostiges Willkommensschild in die Welt der angeblich echten Familien. Mutter-Vater-Kind, von jedem eins, der spießbürgerliche heteronormative Traum! Haben also die Menschen in den Jahren, in denen wir „nur” ein Kind hatten, gedacht, dass wir Familie spielen? Ich hätte da nämlich ein paar Steuerbescheide, Fotoalben und Duplo-Narben unterm Fuß, die da widersprechen wollen würden.
Eins ist eins und zwei sind eins und eins.
Natürlich geht Familie auch mit nur einem Kind. Und genauso ohne Kinder und ohne Trauschein. Gleichgeschlechtliche Beziehungen sind Familie und Menschen mit einem Meerschweinchen und einem Hund oder in einer Dreierbeziehung sind Familien. Singles mit Freundeskreis sind Familien.
Wenn wir alle mal aufhören würden ständig zu definieren, was denn jetzt eine Familie ist, dann könnten wir einfach unsere familiären Beziehungen ausleben und gut ist. Und diese seltsamen Etappenziele? Es fehlt doch nur noch der Stab, den ich beim Staffellauf gepaart mit extra Hürden der nächsten Frau in die Hand drücke und sage: „So jetzt du!“. Denn selbstverständlich kommt nach dem ersten Kind das zweite. Und wie selbstverständlich wird nach dem zweiten regelmäßig nach dem eventuellen dritten gefragt. Denn wenn jede Frau um mich herum Kinder kriegt, habe ich Kinder zu kriegen, wenn alle zwei Kinder kriegen, kann ich nicht Mutter von einem bleiben, und wenn meine beiden Kinder das gleiche Geschlecht haben, habe ich es ein drittes Mal zu probieren.
Solche Sätze können wehtun, gerade in dieser anfänglichen Babyzeit, in der man sich ja wirklich als Familie mit Neuzugang erst einmal finden muss. Wurden Eltern schon immer unangenehme Fragen gestellt oder dämliche Kommentare aufgezwungen? Oder hat das Internet Schuld und wir sind alle zu sensibel geworden? Wenn irgendwer Schuld hat an gereizten Eltern, dann vielleicht der Schlafmangel. Müde Eltern können ihr dickes Fell nicht so schnell finden.
Dieses Thema macht müde. Manchmal macht das alles sehr, sehr müde. Elternschaft sowieso. Dann noch mit Baby, Kleinkind, Terminen, Anträgen, Bahnstreiks, Geburtstagsgeschenken, Adventskalendern, Arbeit, Meetings, Ehe, wie nennt man das doch gleich? Leben, ja. Und Mental Load. Dieses ewige, nicht aufhören wollende An-alles-denken-müssen, das macht müde.
Und wir sind doch schon alle so müde, da kann man sich doch auch ermüdende Sprüche verkneifen, nicht wahr? Wir könnten Familien einfach Familien sein lassen, mit egal wie vielen Kindern.
Elina Penner leitet die Berliner Elternplattform „Hauptstadtmutti”. Ihr Debütroman „Nachtbeeren” erscheint im Frühjahr 2022. Sie lebt als freie Autorin mit ihrer Familie in Nordrhein-Westfalen.