Adlershof macht gute Laune: Warum Teeküche und „Stehrumchen“ entscheidende Orte für Hochtechnologie sind
Essay von Joachim Fahrun, Chefreporter bei der Berliner Morgenpost
„Adlershof?“, fragte mein Chefredakteur: „Das ist doch over-reportet.“ Anfang der 2010er Jahre hatten ich und viele andere schon so viel über den Technologiepark im Südosten Berlins berichtet, dass es eifrigen Medienkonsumenten zu viel vorkam. Auch der Erfolgsmeldungen kann eine vom Kampf um Aufmerksamkeit getriebene Branche überdrüssig werden. Dass Adlershof brummt, ist also schon lange keine Nachricht mehr.
Das war 2004 noch anders. Damals herrschte Krise in Berlin. Der Senat hatte Flächen im neuen Bürohaus Adlershofer Tor angemietet, für 15 Euro den Quadratmeter. Aber die Räume standen leer. Der Investor hatte eine Mietgarantie verlangt, sonst hätte er nur eine Supermarktkiste dort hingestellt. Berlin und die Adlershof-Entwickler wollten jedoch unbedingt eine urbane, also mehrstöckige Bebauung an der Rudower Chaussee und subventionierten das Projekt auf diese fragwürdige Weise.
So etwas erfuhr die Berliner Bevölkerung seinerzeit über Adlershof. Im fernen Westen der Stadt hatten die wenigsten dort Wohnenden eine Vorstellung davon, was sich da kurz vor Cottbus so alles tat.
Das änderte sich in den Jahren danach. Ich traf Forschende, die nach dem Aus der Akademie der Wissenschaften der DDR Unternehmer und Unternehmerinnen werden mussten und sich dabei wacker schlugen. Ich berichtete über „chinesische Wachstumsraten“ im Technologiepark zu einer Zeit, als Wagniskapitalgebende noch nicht jeden Online-Versender in Mitte mit Millionen zuschütteten. Die Renaissance der optischen Technologien beschrieb ich und die unerschütterliche Resilienz, mit der Adlershofer Tüftler/-innen der weltweiten Finanzkrise nach 2008 trotzten. Mir gefiel, dass sie so gar nichts von den aufgeregten Führungskräften und PR-Leuten hatten, mit denen ich sonst häufig zu tun hatte. Natürlich begleitete mich stets die Sorge, nicht zu begreifen, worüber diese Menschen eigentlich sprachen. Aber wenn ich es nicht kapiere, so dachte ich, versteht meine Leserschaft es auch nicht. Alle gaben sich Mühe, dem Laien zu vermitteln, worum es ging bei ihren Produkten.
Stets stieg ich nach meinen Besuchen in Unternehmen und Instituten mit einem guten Gefühl in die S-Bahn zurück in die Stadt. Nie hat hier jemand gejammert über die Politik, den Senat, die Wirtschaftsförderung. „Da machen Leute einfach ihr Zeug“, dachte ich. Sie wissen, dass sie Dinge können, von denen nur ganz wenige Menschen auf der Welt etwas verstehen. Das führt zu einer entspannten Selbstsicherheit, die es sich leisten kann, auf gedrechselte Worte und Statussymbole zu verzichten. Und dass millionenschwere Unternehmer/-innen kritisch die Schattenseiten des kapitalistischen Systems diskutieren, das gibt es so wohl nur in Adlershof.
Die Expansion der Idee von Adlershof markierte um 2010 eine neue Etappe. Der Technologiepark wuchs und war trotz Rückschlägen wie dem Aus der Solarunternehmen auch aus Sicht der Standortmanager der WISTA fast ein Selbstläufer geworden. Jetzt sollte das Konzept auch anderswo in Berlin wirken. Das funktioniert seitdem mal besser, mal schlechter. Aber inzwischen ist es klar, wo Berliner Politiker/-innen nachfragen, wenn sie weitere Hightechstandorte entwickeln wollen. Sie haben sich demonstrieren lassen, wie Ausgründungen aus Instituten und die Aufzucht von innovativen Unternehmen in Verbindung mit Wissenschaft funktionieren können. Teeküche und „Stehrumchen“ aller Art seien dafür entscheidende Orte, habe ich gelernt. Weil sich dort kreative Menschen treffen, quatschen, auf gemeinsame Themen stoßen, sich ergänzende Kompetenzen entdecken. Dass Hochtechnologie so auch altmodisch und analog vorangebracht wird, kann man gar nicht oft genug berichten.