Aktivistin für Klimaschutz
Andrea Lübcke forscht an Molekülen und macht sich für Klimaschutz stark
Dass ihre Alltagsbeschäftigung sich dem gewöhnlichen Vorstellungsvermögen entzieht – nein, das sieht sie anders. Eine Femtosekunde zum Beispiel: Was soll daran schwer zu verstehen sein? Wenn man weiß, dass 100 Femtosekunden die Zeitspanne sind, die das Licht benötigt, um den Durchmesser eines Haares zu durchqueren? Und dass Licht die Strecke zum Mond in einer Sekunde zurücklegt? Ist das nicht anschaulich?
Wissenschaft hat eine öffentliche Funktion und damit den Auftrag, sich allgemein verständlich zu erklären. Das steht für Andrea Lübcke außer Frage. Seit dem vergangenen Mai macht sie in ihrem Wohnort Eichwalde für die Grünen Kommunalpolitik. Sie hält Vorträge an Schulen, um Mädchen für einen naturwissenschaftlichen Berufsweg zu begeistern. Gemeinsam mit Kollegen stand sie in den vergangenen drei Monaten jeden Mittwoch in der Mittagspause vor dem „Forum Adlershof“, um für Klimaschutz zu demonstrieren.
Mit dem Wunsch nach gesellschaftlicher Wirksamkeit hat es auch zu tun, dass die 40-jährige gebürtige Mecklenburgerin, die seit 2008 am Max-Born-Institut (MBI) für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie Grundlagenforschung betrieben hat, jetzt neue Aufgaben sucht.
Für die Physik hatte sie sich schon als Schülerin entschieden, von 1997 bis 2002 in Jena studiert und promoviert. Am MBI war Lübcke dann viele Jahre lang in der Welt der Femtosekunden unterwegs, beobachtete mithilfe von Laserpulsen, wie und in welcher Geschwindigkeit sich Teilchen in Molekülen bewegen: „Es hat mich immer interessiert, wie Prozesse in Echtzeit ablaufen.“ Zuletzt war sie mit dem Problem befasst, warum DNA-Moleküle unter Lichteinwirkung nicht zerfallen.
Eine abschließende Lösung hat sie bislang ebenso wenig gefunden wie eine Antwort auf jene Frage, die sie als stellvertretende Gleichstellungsbeauftragte am MBI umtreibt: Wo bleiben die Frauen in der naturwissenschaftlichen Forschung? Mittlerweile gebe es im Fach Physik 20 Prozent weibliche Absolventen, aber „die kommen hier nicht an“. Liegt es an den Arbeitsbedingungen? Daran, dass Mädchen schon in der Schule weniger Ermutigung erfahren? „Bei Mathe-Olympiaden sind nur Jungs dabei“, hat die Mutter zweier Söhne im Gymnasialalter beobachtet.
Anfang August hat sich in Adlershof eine Gruppe von Wissenschaftlern zu einer Mahnwache für den Klimaschutz zusammengefunden. „Forschungsstrejk“ nennen sie ihre Aktion, wobei die Schreibweise nicht allein als Referenz an die Schwedin Greta Thunberg zu verstehen, sondern wohl auch arbeitsrechtlicher Umsicht geschuldet ist. Unter den Aktivisten, meint Lübcke, seien schließlich beamtete Hochschullehrer, die bei einem richtigen „Streik“ gar nicht mitmachen dürften.
Das Klimathema, das ihr auf der Seele brennt, hat sie schließlich bewegt, dem MBI im Herbst den Rücken zu kehren. Gibt es nicht gerade Dringlicheres zu tun, als in der molekularen Dimension Geschwindigkeiten zu messen? „Ich kann nicht einfach so weiter.“
Von Winfried Dolderer für Adlershof Journal