Antihaftstruktur – Vom Lockenstab der Spinnen inspiriert
Auf Oberflächen, die mit speziellen Nanostrukturen versehen werden, können Adhäsionskräfte erheblich reduziert werden
Warum bleiben Spinnen nicht in ihren eigenen Fäden kleben? Diese Frage stand am Anfang eines internationalen Forschungsprojekts, zu dessen Team auch Jörn Bonse und Karin Schwibbert gehören. Beide forschen an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM). „Je dünner eine Faser ist, umso relevanter werden die Van-der-Waals-Kräfte“, holt der Physiker Jörn Bonse aus. „Diese sorgen für Adhäsion, also dafür, dass die Faser an sämtlichen Oberflächen kleben bleibt. Und das ist ein Problem, wenn man mit solchen nur nanometerdünnen Materialien arbeitet.“ Das klingt einleuchtend. Denn stellt man beispielsweise Textilvliese, z. B. für Atemschutzmasken her, dann sollen die dünnen Fasern nicht am Werkzeug haften bleiben.
Eine Lösung suchten die Forscherinnen und Forscher in der Natur und fanden sie bei Spinnen. „Es gibt einen bestimmten Spinnentyp, die sogenannten cribellaten Spinnen. Die erzeugen Gespinste aus ultradünnen Nanofasern“, erklärt er. „Damit sie nicht selber an der Spinnenseide kleben bleiben, haben sie ein Organ an ihren Hinterbeinen. Das Calamistrum. Das ist lateinisch für Lockenstab.“ Dieses Organ hat die Natur mit einer speziellen, sehr feinen oberflächlichen Wellenstruktur versehen, die dafür sorgt, dass die Seide nicht zur Falle für die Spinne wird. „Solche Strukturen können wir aber auch mit dem Laser auf Materialien aufbringen“, schließt er den Kreis. „So entstand die Idee, das Prinzip des Calamistrums auf technische Oberflächen zu übertragen.“
Umgesetzt haben die Forscherinnen und Forscher ihre Idee in einem FET-Open-Projekt der Europäischen Union. Das steht für Future And Emerging Technologies und ist eine Förderlinie für hochriskante, exzellente Forschung. „Koordiniert wurde das gesamte Projekt von Johannes Heitz von der Johannes Kepler Universität Linz“, sagt Bonse. „Und das Know-how über die Spinnen kam vom Team um die Arbeitsgruppenleiterin Anna-Christin Joel von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH Aachen).“
Außerdem waren noch griechische Kolleg:innen von der Foundation of Research and Technology Hellas, rumänische Forschende vom National Institute for Laser, Plasma and Radiation Physics und der tschechische Industriepartner ELMARCO am Projekt beteiligt. „An der BAM haben wir einen Ultrakurzpulslaser genutzt, um die speziellen Nanostrukturen auf Stahl, Titan, Aluminium und verschiedenen anderen metallischen Werkstoffen aufzubringen“, erklärt Bonse, der sich seit vielen Jahren mit Lasermaterialbearbeitung beschäftigt. „Die Kolleg:innen in Linz konnten dann nachweisen, dass die Klebekräfte bei der optimalen Struktur um bis zu 75 Prozent reduziert wurden.“
Auch Karin Schwibbert ist an diesen Eigenschaften interessiert. Allerdings aus einem ganz anderen Grund. „Ich beschäftige mich schon länger mit Bakterien auf Oberflächen. Die möchte man in der Regel dort vermeiden. Denn sie bilden einen Biofilm“, erklärt die Mikrobiologin. „Nun hat sich gezeigt, dass spezielle Zellanhängsel auf der Außenseite mancher Bakterien eine große Rolle beim Kontakt zu Oberflächen spielen.“ Genau wie Spinnenseide bestehen diese Zellanhängsel aus Proteinen. Und auch vom Durchmesser sind sich beide ähnlich. Für die Forscherin lag es also nahe, die Struktur des Spinnenorgans auf Tauglichkeit im Kampf gegen Biofilme zu testen. Und auch für sie war das Projekt ein Erfolg: „Wir fanden heraus, dass die Wellenstruktur die Biofilmbildung tatsächlich ganz stark beeinflusst“, erzählt sie. „Im besten Fall konnten wir einen Rückgang der anhaftenden Bakterien um 90 Prozent gegenüber der Vergleichsprobe beobachten.“ Das ist vor allem deshalb ein Erfolg, weil keine Resistenzen auslösenden Biozide eingesetzt werden mussten, um Bakterien von Oberflächen fernzuhalten.
Kai Dürfeld für Adlershof Journal