Augen lügen nicht
Das Start-up Amphiprion entwickelt Software zur biometrischen Identifikation
Für das Team des frisch gegründeten Start-ups Amphiprion ist der Einzug ins Charlottenburger Innovations-Centrum (CHIC) wie eine Zeitreise. Denn es hat hier schon vor fast zehn Jahren ein neu gegründetes Unternehmen zum Fliegen – oder besser: zum Sehen gebracht. Und auch diesmal geht es um Augenblicke.
Um Lenka Ivantysynova im CHIC zu finden, folgt man am besten ihrem Lachen. Inmitten von Umzugskisten, umherstehenden Büromöbeln und noch nicht verkabelten Computern strahlt die promovierte Informatikerin ihren Besuch an. Es geht wieder los. Ein neues Start-up. Jedem Anfang wohnt für sie offensichtlich ein Zauber inne.
Gemeinsam mit Tobias Scheffer, IT-Professor an der Universität Potsdam und Leiter der dortigen Machine Learning Group, sowie Peter Haider, der in Scheffers Gruppe promoviert hat, hat Ivantysynova im August 2023 die Gründung der Amphiprion GmbH in Angriff genommen. Namenspatron ist der Falsche Clownfisch Amphiprion Ocellaris, der in Symbiose mit giftigen Anemonen lebt. Diese geben ihm individuellen Zugang zu ihren vor Fressfeinden schützenden Tentakeln. „Genau um solche zweifelsfrei sicheren Zugangskontrollen geht es auch bei unserer Neugründung“, erklärt sie. Amphiprion entwickle eine neuartige Möglichkeit zur biometrischen Identifikation, die anders als Lösungen auf Basis von Fingerabdrücken, Gesichtserkennung oder Irisscans kaum zu überwinden ist. Im Mittelpunkt steht die sogenannte Gaze ID. Individuen lassen sich zweifelsfrei anhand unwillkürlicher Mikrobewegungen ihrer Augen identifizieren. Das System des Start-ups kann mit dieser Methode sogar eineiige Zwillinge auseinanderhalten. Zugleich ist die auf Machine-Learning-Methoden basierende Software derart schlank, dass sie auch als Embedded Software für Smartphones infrage kommt. „Vorerst zielen wir aber auf den Markt für Zugangskontrollsysteme für Hochsicherheitsbereiche“, berichtet die Gründerin. Hier sei das Risiko, dass Unbefugte Irisscanner mit gedruckten Linsen, Gesichtserkennungssysteme mit täuschend echten Masken oder Fingerprint-Scanner mit manipulierten Fingerabdrücken zu überlisten versuchen, höher. „Die Mikrobewegungen ihrer Augen können sie nicht steuern“, sagt sie.
Beim Besuch fällt auf, dass Amphiprion schon jetzt zwei Räume angemietet hat. Trotz des frühen Stadiums leitet das Team bereits personelles Wachstum ein. Und das liegt an der Vorgeschichte, die 2014 ebenfalls im CHIC begann. Ivantysynova, Haider und Scheffer gründeten seinerzeit die Asaphus Vision GmbH, die sich ebenfalls der Interpretation menschlicher Blicke widmet. Es geht um Systeme für Fahrzeuge, die Anzeichen von Müdigkeit der Fahrenden erkennen, anhand der Körper- und Kopfhaltung auf deren Bewusstseinszustand und Aufmerksamkeit schließen oder anhand der Blickrichtung prüfen, ob der Mensch am Steuer drohende Kollisionen erkennt. Auch hier basiert die Analyse auf neuronalen Netzen, damit ihre Software trotz der sehr begrenzten Rechnerkapazitäten in Fahrzeugen zuverlässige Ergebnisse liefert. Und auch hier hat das Team einen Namenspatron aus der Tierwelt ausgewählt: der Asaphus war ein urzeitliches Kriechtier mit Stielaugen, die es unabhängig voneinander bewegen konnte. Rundumsicht also; und exakt das, was die Software des Start-ups bietet. Das Team hat das Unternehmen im März 2023 an den Automobilzulieferer Valeo verkauft – und dadurch nicht nur Zeit, sondern auch Geld für den Aufbau seines neuen Unternehmens. „Außerdem haben wir nun die Erfahrung, die uns bei der ersten Gründung fehlte“, berichtet Ivantysynova. Ob beim Aufbau der Organisation, der Führung von Beschäftigten oder bei der Anbahnung und Pflege von Kundenkontakten: Sie fühlen sich nun besser gewappnet und möchten mit Amphiprion ein deutlich höheres Tempo anschlagen. „Dafür werden wir uns früher oder später auch um Risikokapital bemühen“, erklärt sie. Denn Nachfrage nach Gaze-ID-Systemen gebe es weltweit. „Daher eignet sich unser Geschäftsmodell zur zügigen Skalierung.“ Doch nun widmet sich die gut gelaunte Gründerin erst einmal der Einrichtung der neuen Büroräume.
Peter Trechow für POTENZIAL