Betreutes Lesen
Weniger ist mehr – „PowerPoint“-Vorträge müssen uns nicht regelmäßig ins Wachkoma versetzen
1987 hatte der US-Software-Hersteller Microsoft Corporation die Rechte an der Präsentationssoftware „PowerPoint“ gekauft. Heute werden damit weltweit nahezu alle Präsentationen geschrieben. Laut „Bloomberg Businessweek“ ist es auf einer Milliarde Computern installiert. Der Marktanteil liegt bei satten 95 Prozent.
Mitte der 1980er-Jahre noch rückten die Referenten zur Unternehmenspräsentation mit Aktenordnern voller Folien an. Diese wurden mittels Overhead-Projektor auf die Leinwand geworfen. Um der besseren Lesbarkeit willen musste das Licht gedämpft werden. Der Zuhörer konnte sich zwar keine Notizen machen, dafür aber ungestört dösen. Die „Charts“ waren in mühevoller Arbeit selbst gestaltet worden. Das sah man ihnen an.
„PowerPoint“ war da ein großer Fortschritt. Statt selbst gemalter Folien gab es nun standardisierte Präsentationen. Doch an der Fülle der Mitteilungen hat sich nichts geändert. Eine Folie zeigt durchschnittlich 40 Worte, hinzu kommen Bilder und Tabellen. Zum Lesen stehen dem Betrachter etwa acht Sekunden zur Verfügung. Spätestens nach 20 Folien verschwimmt der Inhalt zu einem Bild- und Wortbrei. Das merkt der Referent aber nicht, denn er steht mit der Folie, weniger mit dem Publikum im Dialog. Er liest ab, was ohnehin jeder lesen kann. „PowerPoint“ ist daher auch eine Form betreuten Lesens.
Eigentlich dient „PowerPoint“ nur der Illustration von Vorträgen: pro Vortrag sieben Folien, pro Folie sieben Zeilen, pro Zeile sieben Worte – pro Folie eine Kernaussage, pro Vortrag höchstens sieben Kernaussagen. Mehr als sieben Dinge kann sich ein Mensch nicht auf einmal merken. „PowerPoint“ ist eine Erinnerungshilfe, wird allerdings für alle möglichen anderen Zwecke verwendet. Manager speichern gern ihr ganzes Wissen auf „Charts“ voller Satzfragmente. Zusammenhänge gehen so verloren, kluge Gedanken oft auch.
Allmählich scheint die „PowerPoint“-Ära zu Ende zu gehen. Unser Büroalltag ändert sich, zum Beispiel durch Onlinekonferenzen. In Zukunft wird man während der Präsentation nicht mehr einschlafen können. Aber wir werden wohl noch eine ganze Weile mit „PowerPoint“ leben müssen, hat es doch eine ganze Generation von Managern geprägt.
Von Dr. Peter Strunk für Adlershof Journal