Bio-Kunststoff aus Schlachtabfällen und Pflanzenresten
Bei dem Verfahren der ANiMOX GmbH hilft das Bakterium Cupriavidus necator, Rohstoffe für vollständig abbaubare Kunststoffe zu gewinnen
Axel Höhling, geschäftsführender Gesellschafter von ANiMOX, weiß noch genau, wann er die Idee zur Firmengründung hatte. Es war Ende November 2000, kurz vor seinem Geburtstag und in Deutschland fielen die ersten Kühe wegen einer schwammartigen Veränderung der Gehirnsubstanz – bekannt als BSE – tot um. Ab sofort durfte kein Tiermehl mehr für die Fütterung verwertet werden. „Aber das Zeug ist doch ein wertvoller Rohstoff, dachte ich mir. Da muss man doch noch was draus machen“, entschied Höhling.
In seinem damaligen Job war er mit der Umnutzung solcher tierischen Mehle beschäftigt. „Doch ich bin eigentlich Wirtschaftswissenschaftler“, so Höhling. „Deshalb habe ich mir in Adlershof eine Biotechnologin gesucht und sie mit einem Hochdrucktechniker vernetzt. Dann haben wir alle zusammengesessen und überlegt, was zu tun ist.“ Klar war, zur Weiterverarbeitung mussten Proteine, Fett und Mineralien möglichst rein gewonnen werden. Proteine sind eigentlich nicht wasserlöslich. Aber mit Hochdruck müsste es möglich sein.
Höhling und sein Team bekamen vom Land Berlin 1,4 Millionen Euro Fördermittel. Anderthalb Jahre wurde intensiv geforscht, dann stand fest: Ja, es geht. Die tierischen Reste wurden zerkleinert, gemahlen und in einem Hochdruck-Versuchsreaktor über 100 Grad Celsius unter Druck gebracht. Aus tierischen „Abfällen“ wurden tatsächlich wässrige Proteinhydrolysate, hochreine Fettfraktionen und Calciumphosphate gewonnen. Das war die Voraussetzung dafür, 2003 die ANiMOX GmbH zu gründen.
Am Anfang entwickelte die Firma ein Bindemittel mit Proteinzusatz für die Holzwerkstoffindustrie. Es konnte Formaldehyd im Klebstoff auffangen und dessen schädliche Emissionen um den Faktor 10 reduzieren. Ein riesiger Durchbruch – eigentlich!
Doch mit der Immobilienkrise in den USA brach 2007 die Spanplattenproduktion in Deutschland ein. Als sich der Markt erholt hatte, waren andere Bindemittel gefragt. Phenolharze, deren Vernetzer Formaldehyd ist, wurden kaum noch verwendet.
Seit 2012 arbeitet ANiMOX mit der Technischen Universität Berlin und dem Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie e. V. Potsdam an der Bio-Kunststoff-Gewinnung. In dem Projekt, in dem auch Wissenschaftler:innen aus Boston und Malaysia kooperieren, werden aus tierischen Rohstoffen – vor allem aus Fetten – gewonnene Materialien getestet.
Mit diesen Fetten wird das Bakterium „Cupriavidus necator“ gefüttert. Durch Verknappung von lebenswichtigem Phosphor frisst es alles in sich hinein, bis seine Zellen bis zu 90 Prozent aus Bio-Kunststoff bestehen. Dieser wird herausgelöst, gereinigt und aufbereitet.
Ob zum späteren Einsatz als Teller, Tasche, Strohhalm, Tüte oder Plane – der Kunststoff ist voll abbaubar und in wenigen Wochen rückstandsfrei verschwunden. Selbst unter Kaltwasserbedingungen im Meer. Eine Lösung gegen neue riesige Müllstrudel in den Weltmeeren. Auch für Verpackungen, als Beschichtung für Tetrapacks, in der Medizin für selbstauflösende Nähte oder Verbundmaterialien für Knochen ist der Stoff einsetzbar. Ebenso in der Landwirtschaft als Düngemittelverkapselung oder als Mulchfolie, die nach dem Gebrauch auf dem Feld liegen gelassen, sofort abgebaut wird und wieder in den Boden geht.
Nach sechs Jahren Forschung können jetzt auch Proteine aus Pflanzenresten gewonnen werden, zum Beispiel aus Raps. Industriepartner interessieren sich immer stärker für biobasierte Komponenten. Von der Forschung im Labor bis zur Musterproduktion können die Biotechnolog:innen und Chemiker:innen von ANiMOX der Industrie die passenden Rohstoffe zur Verfügung stellen.
So ist ANiMOX heute nicht nur im Bindemittel-, Waschmittel-, Beschichtungs- und Biotensidbereich gefragt, sondern auch in der Lebensmittel-, Futtermittel- und Pharmaindustrie. Thomas Grimm, operierender Geschäftsführer von ANiMOX: „Unser Ziel ist es, biologische Abfälle vollständig zu verwertbaren Rohstoffen zu verarbeiten. Bioökonomie darf auf Dauer nicht teuer sein.“
Kathrin Reisinger für Adlershof Journal