Chic-Teams für eine effizientere Medizin
Mit ihren Ideen unterstützen die CHIC-Start-ups GxP brain GmbH, roclub GmbH und Probatix die Digitalisierung im Gesundheitssystem
Von der Digitalisierung im Gesundheitssystem versprechen sich viele Fachleute einen Effizienzsprung. Die Ideen dafür kommen häufig von Start-ups. Auch im CHIC arbeiten verschiedene junge Unternehmen an Digital-Health-Lösungen. Mit gut durchdachten digitalen Prozessen und verbesserter Vernetzung zwischen unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren tragen sie dazu bei, dass teure Geräte, Laborkapazitäten und wertvolle Arbeitszeit effektiver nutzbar werden und bei der Durchführung von klinischen Studien keine ärgerlichen Fehler auftreten.
Wenn die Stunde der Software von Nimer Yusefs GxP brain GmbH schlägt, geht es für ihre Kundschaft aus der pharmazeutischen Industrie ums Ganze. Mit aktuell 15 Beschäftigten entwickelt das Start-up Software für die Planung, Logistik, Durchführung und Dokumentation von klinischen Studien der Phasen II, III und IV. Es ist jenes weit fortgeschrittene Stadium, in dem die Wirksamkeit eines Wirkstoffs nachgewiesen ist und dieser an einigen hundert oder tausend anonymisierten Probandinnen und Probranden erprobt wird. Wenige Arzneien schaffen es in diese Phase der Zulassung, in der bereits tausende Stunden an Forschung und Entwicklung und hohe Millionenbeträge investiert sind. Fehler bei der oft über viele Länder verteilten Durchführung der Studien sind ärgerlich – und teuer.
„Unsere Software führt die anwendenden Unternehmen durch den gesamten Prozess“, erklärt Yusef. Sie trifft eingangs eine randomisierte Auswahl, welche Probandinnen und Probranden das echte Medikament und welche Placebos erhalten. Die Auswahl ist verblindet und für Niemanden einsehbar. Deshalb steuert die Software auch die Logistik, um zu gewährleisten, das die optisch identischen Verpackungen mit wirkstoffhaltigem und wirkstofffreiem Inhalt ans jeweils richtige Ziel gelangen. Auch verfolgt sie, wie lange der Packungsinhalt und das Haltbarkeitsdatum reichen, um bei Bedarf passenden Nachschub auf den Weg zu bringen.
Roter Faden für komplexe, stark regulierte klinische Studien
In der Software steckt jede Menge Know-how rund um Studiendesign, Logistik und Durchführung. „Sie ist gefragt, wenn die Wirkstoffe teuer und knapp sind“, berichtet Yusef. Die Zielgruppe ist begrenzt. Große Pharmakonzerne haben in der Regel eigene Lösungen und kleine Biotechfirmen zu selten Bedarf. GxP Brain arbeitet deshalb vor allem für mittelständische Pharmaunternehmen und Dienstleister, die auf die Durchführung klinischer Studien spezialisiert sind. Bei den Studiendesigns, der digitalen Prozessführung und Anwendungsfragen rund um die Software berät das Team um Yusef die Kundschaft intensiv. „Läuft eine Studie, sind wir rund um die Uhr erreichbar“, erklärt er. Ist der Beratungsbedarf höher als üblich, übernimmt das Schwesterunternehmen Trial Brain, das Yusef ebenfalls im CHIC aufgebaut hat.
„Ursprünglich war ich in einem anderen Unternehmen an der Entwicklung von solcher Software beteiligt. Ich hatte viele Ideen, sie zu verbessern, die ich dort nicht umsetzen konnte“, berichtet er. Seine unternehmerische Praxis habe ihn aber gelehrt, dass weniger die Technologie als das Vertrauensverhältnis und die enge Betreuung der Kundschaft zählen.
Für die Qualität und spätere Anerkennung der Studiendaten ist entscheidend, dass die Software den fehlerfreien Ablauf unterstützt und exakt dokumentiert. Die Doppelblind-Designs der international aufgesetzten Studien sind komplex, unterliegen strenger Regulierung und kurzfristigen Meldepflichten. Trotz aller Anonymisierung muss nachvollziehbar sein, wer wann welche Dosen erhalten hat. Auch Eventualitäten wie das Entblinden einzelner Personen im Lauf einer Studie muss der softwaregesteuerte Prozess abdecken. Vor allem aber gilt es in diesem Stadium der Zulassung, Flüchtigkeitsfehler zu vermeiden. „Es wäre beispielsweise sehr ärgerlich, wenn ein Medikament für 60 Tage ausgehändigt wird, aber schon nach 45 Tagen die Haltbarkeit abläuft“, erläutert der Gründer. Das würde nicht nur die Seriosität der Daten infrage stellen, sondern in diesem Fall wäre kaum nachvollziehbar, ob mangelnde Wirksamkeit auf den Wirkstoff oder den Ablauf seiner Haltbarkeit zurückzuführen ist.
Vom Start-up zum Scale-up
Yusefs Start-ups haben solche Klippen umschifft – und sich etabliert. Sie sind nach Stationen in Adlershof und im CHIC flügge und ziehen an einen neuen Charlottenburger Standort. Die Räume dort sind groß genug, um zu wachsen.
Den Weg vom Start- zum Scale-up haben auch Matthias Issing und André Glardon vor Augen. Wieder einmal. Denn ihre roclub GmbH ist nicht das erste Unternehmen, das die Gründer im CHIC aufbauen. Schon 2011 waren sie mit ihrer medneo GmbH eines der ersten Teams im Gründungszentrum in der City West. Es folgte eine Erfolgsstory: medneo hat heute fast 500 Beschäftigte an knapp 40 Standorten in Deutschland, der Schweiz und UK residiert in bester Berliner Lage am Hausvogteiplatz.
Glardon und Issing verstehen sich als Seriengründer, investieren als Business Angels in Start-ups und pflegen ein weitverzweigtes Netzwerk im Finanz- und Gesundheitswesen. Medneo haben beide vor 1,5 Jahren verlassen, um neue Projekte anzustoßen. „Wir haben Spaß daran, disruptive Geschäftsmodelle voranzutreiben“, sagt Glardon. Während Issing von der medizintechnischen Seite kommt und eine Vergangenheit an der Charité hat, bringt Glardon neben einer internationalen Biografie jede Menge betriebswirtschaftliches Know-how aus universitärer Theorie und unternehmerischer Praxis mit. Ihr Fokus liegt auf dem Digital-Health-Bereich. Sie wollen ihren Beitrag zu einer effizienten, digital unterstützten Gesundheitsversorgung leisten.
Fachleute aus aller Welt bedienen Medizintechnik per Fernzugriff
„Im CHIC haben wir nun dieselben Räume wie anfangs mit medneo, nur ein Stockwerk höher“, berichtet Glardon. Hier bauen sie eine Plattform auf, über die freiberufliche Medizinisch Technische Angestellte (MTA) von jedem Ort der Welt aus per Fernzugriff medizinische Geräte bedienen können. Auf diese Weise können die hochspezialisierten Fachkräfte weniger erfahrene Teams in Kliniken und Praxen bei diagnostischen Verfahren unterstützen, sie anleiten und helfen, über die Einstellungen der Geräte deren Potenzial auszuschöpfen. Mithilfe des dezentralen Pools an Fachkräften sollen Praxen und Kliniken ihre teuren Geräte besser auslasten, ärgerlichen Terminausfällen und etwaigen Qualitätseinbußen infolge des Fachkräftemangels vorbeugen – und zudem sicherstellen, dass Ärzte und Ärztinnen ihre Behandlung auf bestmögliche Diagnostik stützen können.
„Die Geräte sind hochkomplex. Es bedarf sehr gut geschulter, erfahrender Fachleute, um sie optimal zu bedienen“, sagt Glardon. Ohne sie sei das Potenzial moderner Medizintechnik kaum auszuschöpfen. Die Fachleute können über die cloudbasierte roclub-Fernsteuerungsplattform nicht nur die Untersuchungen durchführen und dabei parallel mehrere Geräte bedienen, sondern remote auch an Geräteschulungen und Fortbildungen teilnehmen. Buchung und Abrechnung ihrer Arbeit sollen ebenfalls über die Plattform laufen. Das Start-up stellt die Technik für die Plug-&-Play-Vernetzung der Geräte und die Cloud-Plattform bereit.
Ressourcen sinnvoll einsetzen
„Das Ziel ist es, knappe technische und personelle Ressourcen so effektiv wie möglich zu nutzen und dabei zugleich höchste Qualität zu gewährleisten“, sagt Glardon. Für den Aufbau des Unternehmens nutzt roclub dasselbe Prinzip. „Unsere aktuell knapp 20 Beschäftigten arbeiten dezentral und remote“, berichtet Glardon. Das Start-up schöpft das Potenzial der Digitalisierung aus. Schlank und effizient treibt es den Aufbruch ins schlanke, effizientere Gesundheitswesen voran.
Das schwebt auch Philipp Noack und Daniel Werner vor. Mit ihrer Marke Probatix und ihren Firmen Digital Health One GmbH und Venture Leap GmbH setzen die Gründer im CHIC auf digitale Vernetzung, um Blutuntersuchungen effizienter zu gestalten. Noch brauchen Patientinnen und Patienten dafür meist drei Termine: Zunächst die Anamnese, dann die Blutabnahme und schließlich die Mitteilung der Ergebnisse. Wege- und Wartezeiten summieren sich ebenso wie die Zeit für die meist befundlosen Kurztermine, die für Ärztinnen und Ärzte sinnvoller nutzbar wäre. Statt des umständlichen Prozederes schwebt Noack und Werner ein digital unterstützter Prozess vor, der die Interaktion auf das nötige Maß begrenzt.
Blutuntersuchungen leicht gemacht
Dafür vernetzt Probatix Praxen, Labore sowie Patientinnen und Patienten so miteinander, dass im Regelfall des unauffälligen Blutbildes ein Termin genügt. „Interessant ist nicht nur die Zeitersparnis“, erklärt Werner, „sondern wenn der Aufwand sinkt, dann lassen sich regelmäßig durchgeführte kleine Blutbilder für ein durchgängiges Gesundheitsmonitoring nutzen“. Wie bei Corona-Tests soll ein Termin in einer Apotheke oder bei einem Testzentrum genügen. Ob dort medizinisches Fachpersonal Blut abzapft oder es nur um Kapillarblut aus dem Finger geht – beides wird an ein Labor übermittelt, dass die Werte per Mail an die hausärztliche Praxis und in strukturierter Form an die jeweils untersuchte Person übermittelt. Nur im Fall eines auffälligen Befundes lädt die Praxis zum Folgetermin ein, um etwaige Behandlungsmaßnahmen zu besprechen.
Die Gründer treiben ihre Idee als B-to-B-to-C-Geschäftsmodell voran. „Bezahlt wird unser Service von den Leistungserbringern, also Apotheken, Testzentren und Labors. Dagegen soll die Blutuntersuchung für Patientinnen und Patienten kostenlos bleiben“, erklärt Werner. Ihre Plattform schafft wie bei Corona-Tests eine Direktverbindung zwischen Laborinformationssystem, Praxissoftware und den Smartphones der Untersuchten. Der Aufbau schreitet voran. Apotheken und caritative Organisationen bekunden Interesse. Das Team ist im CHIC auf 25 Beschäftigte aus 18 Nationen gewachsen und finanziert sich komplett aus dem Cashflow. Vieles erscheint möglich. Die regelmäßige Blutabnahme würde zum kurzen Boxenstopp. Bei Nährstoffmangel ließe sich gegensteuern, bevor er spürbar wird. Und auch für die Früherkennung ernster Erkrankungen wären die regelmäßigen Blutbilder ein wichtiger neuer Baustein. Denn je früher diese auffallen, desto höher sind die Heilungschancen.