Das Märchen von der Postwachstumsgesellschaft
Der qualitative Aspekt des Wachstums macht die Apokalypse obsolet. Essay von Peter Heller
Zu den größten Profiteuren wirtschaftlichen Wachstums zählen ausgerechnet dessen Kritiker. Nutzen sie doch exzessiv die Segnungen der Moderne, um ihre Botschaft unters Volk zu bringen. Unermüdlich jetten die Stars der Branche von einem luxuriösen Konferenzraum zum nächsten und treffen Topmanager und Spitzenpolitiker bei guten Weinen und feinen Häppchen. So lässt es sich perfekt von der Postwachstumsgesellschaft schwadronieren, in der sich ökonomisches Handeln an Verbrauchssuffizienz statt an Produktionseffizienz orientiert. Schließlich sei Letztere für den stetig steigenden Konsum der Weltbevölkerung verantwortlich und damit für drohende Apokalypsen vom Klimawandel bis hin zur Erschöpfung aller biogenen und mineralischen Ressourcen.
Die Fixierung auf den privaten Verbrauch und die daraus abgeleiteten Forderungen nach individuellem Verzicht in allen Lebenslagen sind verständlich. Es wäre wohl tatsächlich problematisch für den Planeten, würde ein erklecklicher Prozentsatz seiner menschlichen Bewohner den Lebensstil von Nachhaltigkeitsbestsellerautoren annehmen können. Zumindest wenn dies, eine wichtige Einschränkung, auf dem gegenwärtigen Stand unserer Möglichkeiten erfolgt. Auch bildet die amtliche Statistik, die Wachstum an der Zunahme des Bruttoinlandsproduktes (BIP) misst, nur eine Seite der Geschichte ab. Denn den Volkswirten fehlt eine geeignete Metrik zur Beschreibung des steigenden Nutzwertes von Gebrauchsgütern aller Art. Deswegen bleibt dieser meist unberücksichtigt und wird auch von den Wachstumskritikern einfach ignoriert. Eine folgenschwere Unterlassung.
Für das BIP ist es egal, ob Millionen Schreibmaschinen produziert und verkauft werden, oder Millionen Computer. Es kommt nur auf die Umsätze an. Dem BIP ist es gleichgültig, ob wir unsere Häuser, Straßen und Plätze mit Kerzen ausleuchten, mit Glühbirnen oder Leuchtdioden. Steigen würde es auch durch zusätzliche Pferdekutschen statt durch zusätzliche Automobile. Für die Nutzer allerdings bedeutet es einen gewaltigen Unterschied, wie man etwas macht. Für die Umwelt ebenso. Wohlstand entsteht eben nicht nur durch effizientere, sondern vor allem durch effektivere Produkte. Man sollte es nicht Fortschritt nennen, wenn immer mehr Menschen immer mehr vom immer Gleichen konsumieren. Der wichtigste Treiber des Wachstums sind neue Optionen zur Bedarfserfüllung mit wirksameren Werkzeugen und Methoden als bereits vorhanden. Hier liegt der Schlüssel zu erfolgreichen Innovationen.
Durch die wir dann auch alle Entwicklungsgrenzen pulverisieren, die sich aus der bloßen Fortschreibung gegenwärtiger Trends zwangsläufig ergeben. Wir müssen heute keine Wale mehr töten, um Öl für Laternen zu gewinnen. Wir müssen keine Bäume mehr fällen, um Schiffe zu bauen. Die mineralischen Ressourcen werden uns nicht ausgehen, weil durch immer effektivere Bergbautechnologien immer neue Vorkommen technisch und wirtschaftlich in Reichweite gelangen. Wenn wir nicht sogar schon bald extraterrestrische Quellen, also Mond und Asteroiden anzapfen. Die Biokapazität der Erde werden wir nicht überfordern, weil wir die Flächenproduktivität im Agrarbereich noch um ein Vielfaches steigern können. Wenn wir nicht ohnehin bald dazu übergehen, unsere Nahrung in völlig artifiziellen Umgebungen zu produzieren.
Obwohl also der qualitative Aspekt des Wachstums alle düsteren Menetekel obsolet macht, müssen die Wachstumsskeptiker nicht um ihre Zukunft bangen. Zu unterhaltsam ist die Apokalypse.
Peter Heller ist promovierter Astrophysiker, arbeitet heute als Strategieberater und Trendforscher.