Das wissenschaftliche Potenzial ausschöpfen
Der HU-Vizepräsident für Forschung, Christoph Schneider, im Interview
Christoph Schneider ist Professor für Klimageographie, Gründungsmitglied der „Scientists for Future“ und seit vergangenem Sommer Vizepräsident für Forschung an der Humboldt-Universität zu Berlin. Im Interview mit dem Adlershof Journal spricht er über exzellente Forschung, die Rolle der Politik und die Potenziale der Berliner Wissenschaft, Antworten auf drängende Fragen unserer Zeit zu finden.
Wodurch zeichnet sich Ihrer Ansicht nach exzellente Forschung aus?
Exzellente Forschung, meine ich, lässt sich daran festmachen, dass die richtigen Fragen gestellt werden: Fragen, die uns an die Grenze des bisher Gewussten bringen – sowohl in der anwendungsorientierten Forschung als auch in der Grundlagenforschung. Für mich fängt es an faszinierend zu werden, wenn Menschen bisherige Sichten auf ein Thema infrage stellen: Wie können wir die Grenzen des Wissens, der Erkenntnis, der Theoriebildung noch ein bisschen weiter verschieben? Es geht darum, nicht in der Besitzstandswahrung des bisherigen Wissens zu verharren.
Wie werden Sie solche Forschung an der HU und innerhalb der Berlin University Alliance fördern? Inwiefern spielt dabei auch der Standort Adlershof eine Rolle?
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft wird voraussichtlich in diesem Jahr die nächste Runde des Exzellenzwettbewerbs einläuten. Zur Zeit schauen wir uns die bestehenden Exzellenzcluster an, um dann mit den Wissenschaftler:innen die Fortsetzungsanträge auf den Weg zu bringen – mit wohldurchdachten, finanzierbaren Ansätzen, die das, was bisher geleistet worden ist, fortführen und auf die nächste Stufe heben. Zusätzlich überlegen wir, welche neuen Ideen das bisherige Portfolio ergänzen können. Das wissenschaftliche Potenzial Berlins ist in Hinblick auf Exzellenzcluster bestimmt noch nicht ausgeschöpft.
Adlershof spielt eine Rolle mit Blick auf naturwissenschaftlich geprägte Fragestellungen und auch, weil das Zusammenspiel der außeruniversitären Forschungsinstitutionen und der Humboldt-Universität in Adlershof schon so viele fruchtbare, herausragende Forschungsleistungen hervorgebracht hat. Es ist aber noch nicht die Zeit gekommen, wo wir über Details sprechen können. Das verbietet sich schon aufgrund der deutschlandweiten Wettbewerbssituation.
Jenseits des Exzellenzwettbewerbs, welche Ideen haben Sie für Adlershof? Wie würden Sie den Standort gerne weiterentwickeln?
Für Adlershof wünsche ich mir ein durchdachtes Mobilitätskonzept, denn der motorisierte Individualverkehr nimmt von Jahr zu Jahr zu. Das zeigt natürlich, dass der Standort prosperiert – sowohl wirtschaftlich als auch im Bereich der Wissenschaft. Dazu gehört, dass die S-Bahnlinie S9 im Zehn-Minuten-Takt fahren sollte, um die Nähe zwischen Adlershof und Berlin-Mitte zu unterstreichen. Was auch fehlt, ist zum Beispiel ein Fahrradparkhaus am S-Bahnhof Adlershof, wo man sein Fahrrad sicher abstellen kann.
Da kommt jetzt der Scientist for Future durch.
Ich beschäftige mich seit über 25 Jahren mit den Auswirkungen des Klimawandels. Die Klimaneutralität liegt im Verkehrssektor noch in weiter Ferne. Elektromobilität allein löst nicht das Problem, weil wir damit die Verkehrsströme in Adlershof nicht bewältigt bekommen. Das kriegt man nur mit einem alle Bereiche einbeziehenden Mobilitätskonzept hin.
Was steht noch auf Ihrer Wunschliste für den Technologiepark?
Ein Science Club in Adlershof wäre so eine Idee, ein Ort, an dem sich Wissenschaftler:innen zum After Work Drink oder zu einem Vortrag am frühen Abend treffen und in einer entspannten Lounge-Atmosphäre austauschen können. Ein Ort für Vernetzung und Gemeinsinn, an dem interdisziplinäre angeregte Diskussion stattfindet, der hier in Adlershof eine soziale Funktion einnehmen, aber auch ein Hub sein kann für Wissenschaftskommunikation und generell den Diskurs zu Wissenschaft im Berliner Forschungsraum.
Welche Rolle spielt die Politik bei der Sicherung exzellenter Forschung?
Der für die HU sehr schmerzliche Rücktritt von Präsidentin Sabine Kunst ist hoffentlich ein Fanal für die Hochschulpolitik in Berlin. Wissenschafts- und Hochschulpolitik sind eine entscheidende Randbedingung für exzellente Forschung – und übrigens auch für exzellente Lehre. Es ist sinnvoll, diese Randbedingungen so zu gestalten, dass man konkurrenzfähig ist, also die besten Wissenschaftler:innen an den Standort holen und sie dann auch halten kann. Ich meine, dass die letzten Jahre für den Standort Berlin insgesamt, wie auch für den Standort Adlershof, recht erfolgreich waren und dass die Politik einen erheblichen Beitrag dazu geleistet hat. Wie an den Universitäten auch in Zukunft exzellente Forschung möglich sein wird, hängt stark davon ab, ob vom Berliner Senat rasch die notwendigen Weichen gestellt werden.
Ob Coronakrise, Klimakrise oder Krise der Demokratie – aktuell steht die Menschheit vor großen Herausforderungen. Wird exzellente Forschung aus Berlin und Brandenburg dazu beitragen, Lösungen zu finden?
Im 21. Jahrhundert werden einerseits herausragende technische Lösungen benötigt. Andererseits stellt sich die Frage, wie Gesellschaft und Politik aufgestellt sein müssen, um die Herausforderungen, vor denen wir stehen, in den Griff zu bekommen. An solchen Lösungen arbeiten weltweit Wissenschaftler:innen. In Berlin und Brandenburg werden an vielen Stellen fundamentale Beiträge dazu geleistet. Eine der Stärken des Standortes Berlin ist es, dass er exzellente Forschung an den Schnittstellen zwischen naturwissenschaftlichen, technischen und sozialen bzw. politischen Fragestellungen erlaubt. Es gibt wenige andere Standorte in Mitteleuropa, die das in einer solchen Breite darstellen können. Adlershof ist dabei ein bedeutender Standort in Berlin, etwa in der Photovoltaik, in der Steuerung von Mikrosystemen, bei der Entwicklung neuer Materialien und ganz allgemein im Bereich der Nanotechnologie.
Das Interview führte Nora Lessing für Adlershof Journal