Das Ziel sind nachhaltige Städte
Ein Interview mit Prof. Katja Ninnemann und Prof. Florian Koch vom Forschungscluster Sustainable Smart Cities
Die Digitalisierung kann dabei helfen, das Leben in urbanen Räumen lebenswerter und nachhaltiger zu gestalten, deren Verwaltungen und Infrastrukturen intelligenter zu managen – und dort lebende Menschen effizienter zu versorgen. An der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin beschäftigt sich das Forschungscluster Sustainable Smart Cities auf theoretischer und praktischer Ebene mit der eng verzahnten Ausgestaltung smarter Gebäude, smarter Quartiere und smarter Städte. Im Interview erläutern Prof. Katja Ninnemann und Prof. Florian Koch, die für das Cluster sprechen, die Themenschwerpunkte, das Vorgehen und ihre Visionen für die Städte von morgen und übermorgen. Zudem geht es darum, wie Start-ups mit ihren digitalen Innovationen zu Smart Cities beitragen können.
Können Sie uns das Forschungscluster Sustainable Smart Cities kurz vorstellen?
Prof. Katja Ninnemann: Wir haben das Cluster 2021 mit 17 Professorinnen und Professoren der HTW gegründet. Es ist das einzige HTW-Cluster, in dem alle fünf Fachbereiche aus Ingenieurwesen, Wirtschaft und Recht, Informatik, Gestaltung und Kultur vertreten sind. Themen, Fragestellungen, die vertretene wissenschaftliche Expertise und Qualität wurden im Vorfeld nach Kriterien der Deutschen Forschungsgesellschaft geprüft. Auch haben wir eine gemeinsame Forschungsagenda formuliert. Das Ziel des Clusters ist es, Digitalisierung und Nachhaltigkeit in urbanen Kontexten enger miteinander zu verzahnen. Daran arbeiten wir in der Forschung, wie auch in der Lehre trans- und interdisziplinär. Unser Cluster ist schon auf 31 Mitglieder gewachsen. Erfreulicherweise haben sich neben weiteren Professorinnen und Professoren viele wissenschaftliche Nachwuchskräfte eingeklinkt. Möglicherweise spielt dabei eine Rolle, dass wir unseren Campus als Reallabor und Experimentierfeld nutzen, um technische Systeme und soziale Interaktion und Innovationen zu erproben. An der HTW haben wir dafür ein riesiges Potenzial, denn auf dem Campus gehen 15.000 junge Menschen ein und aus. Er ist eine Stadt in der Stadt; ein Mikrokosmos, in dem wir Ideen für smarte, nachhaltige Städte testen können.
Wieso ist Trans- und Interdisziplinarität beim Aufbruch zu Smart Cities so wichtig?
Prof. Florian Koch: Wegen der Komplexität. Um technische Innovationen im städtischen Raum umsetzen zu können, genügt es nicht, dass diese technisch funktionieren. Sie müssen auch den rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmen klären, möglichst die Verwaltung an Bord holen und um Akzeptanz in der Stadtgesellschaft werben. An jeder kleinen Veränderung hängt also eine Fülle von Disziplinen mit jeweils unterschiedlichem Blickwinkel. Deshalb ist es wichtig, schon im frühen Stadium der Forschung und Entwicklung möglichst viele Perspektiven und fachliche Backgrounds einzubeziehen, zumal sie sich oft optimal ergänzen. Und transdisziplinär wird es spätestens beim Übergang von Theorie zu Praxis; etwa in unserem Reallabor. Als anwendungsorientierte Hochschule hat die HTW – und hat unser Cluster – den Anspruch, praktikable Lösungen zu entwickeln. Dafür streben wir den Austausch mit der Wirtschaft, Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft an und greifen deren Hinweise gerne in unserer Forschung auf. Tatsächlich stößt unser Cluster bei diesen Gruppen auf großes Interesse. Sie tragen mehr Kooperationsangebote an uns heran, als wir mit unseren personellen Ressourcen bewältigen können.
In welchen Bereichen macht Digitalisierung urbane Räume nachhaltiger?
Ninnemann: In der Mobilität und Logistik ist das offensichtlich. Aber auch für klimaneutrale Gebäude birgt die Digitalisierung großes Potenzial. Es genügt nicht, Photovoltaikanlagen zu installieren und sparsamer mit Energie und den anderen Ressourcen umzugehen, sondern wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir Flächen effizienter nutzen. Ein gutes Beispiel ist die Belegung gemeinsam genutzter Räume, bei der es vor allem um Kommunikation geht. Möglicherweise können Apps helfen, effizientere Nutzungskonzepte mit stark reduziertem Flächenbedarf zu etablieren. Die Digitalisierung gibt uns in vielen Bereichen die Chance, altbewährte Abläufe und Prozesse neu zu denken – und die im urbanen Umfeld naturgemäß begrenzt vorhandenen Ressourcen effektiver zu nutzen.
Koch: Smart Cities können mit Blick auf die Nachhaltigkeit helfen, umgekehrt aber natürlich auch neue Probleme verursachen. Smart Metering, dezentrale digitale Systeme und auch Smartphones verbrauchen Strom und werden mit hohem Ressourcenverbrauch produziert. Diese Zusatzbelastung gilt es durch intelligentere Prozesse in der Mobilität, Versorgung, Verwaltung und Nutzung von Infrastrukturen zu kompensieren. Ein engmaschiges Monitoring mithilfe verteilter Sensoren liefert zunächst einmal nur Daten. Erst wenn wir diese für datenbasierte Entscheidungen und die Steuerung von ressourcenschonenden Prozessen einsetzen, tragen diese Systeme zu mehr Nachhaltigkeit bei. Dafür müssen die Daten für die entsprechenden Akteure zugänglich werden. Das ist kompliziert, weil sowohl rechtlich als auch von der Qualität oder den Formaten der Daten her viel zu klären ist – und es teils widerstrebende Interessen unter einen Hut zu bringen gilt.
Ninnemann: Um hier eine gemeinsame Basis zu schaffen, ist Transparenz wichtig. Wenn klar ist, welche verborgenen Kosten das Gebäudemanagement verursacht und dass Gebäude auch bei schwacher Auslastung einen hohen Ressourcenverbrauch haben, steigt möglicherweise die Bereitschaft, Büros zu teilen – statt auf einem wegen des Trends zum Homeoffice seltener genutzten Einzelbüro zu bestehen.
Wie smart sind Städte heute – und was ist Ihre Vision einer Smart City?
Ninnemann: Ich denke, dass Innovation und Nachhaltigkeit im urbanen Raum zusammengehören – und wir unsere Handlungsfelder priorisieren müssen, um dort anzusetzen, wo die größten Effizienzpotenziale zu heben sind. Es gibt auf internationaler Ebene Vorbilder: Die „2000-Watt-Gesellschaft“ in der Schweiz, laut der jeder Mensch weltweit maximal zwei Kilowatt Energiedauerleistung in Anspruch nehmen soll. „Superblocks“ in spanischen Städten, die jeweils zwei bis drei Gebäudeblöcke zu Wohninseln zusammenlegen und den Autoverkehr dort herumleiten. Oder auch das Konzept der 15-Minutenstadt in Frankreich, in der alle Wege des Alltags in maximal 15 Minuten zu bewältigen sein sollen. Es ist wichtig, dass wir uns solchen Konzepten experimentell nähern und offen für nachträglichen Änderungsbedarf sind. Die smarte Stadt wird nie fertig sein; sie ist ein fortlaufender Veränderungsprozess, der Innovationen aufgreift, erprobt und nur beibehält, wenn sie sich als lebenswert und nützlich erweisen.
Koch: Das Ziel ist nicht die „Smart City“, sondern die lebenswerte, nachhaltige Stadt, von deren Vorteilen möglichst viele Menschen profitieren. Der Mensch ist der Mittelpunkt und die Gebäude künftiger Smart Cities sind zu 95 Prozent bereits gebaut. Es geht nicht um Science Fiction, sondern um sehr reale und in vielen Fällen auch konfliktträchtige Abstimmungsprozesse darüber, wie wir das städtische Leben in Zukunft gestalten möchten. Die digitale Vernetzung darf nur das Mittel zum Zweck sein, um soziale und technische Fortschritte im Sinne lebenswerterer Städte voranzutreiben.
Inwiefern hilft Ihrem Cluster das „Reallabor“ auf dem HTW-Campus?
Ninnemann: Den Campus verstehen wir als Experimentierfläche, um neue Sensorik, Strategien zur Klimaanpassung, Flächeneffizienz oder Konzepte der „Neuen Arbeit“ zu erproben und dabei auftretende Fragen zur Datensicherheit oder zur Rechtslage zu klären. Wir forschen also nicht mit oder über Andere, sondern wir fassen uns an die eigene Nase, indem wir uns und unser eigenes Umfeld zum Gegenstand der Forschung machen und die Konsequenzen der Veränderungen direkt zu spüren bekommen. Ich kann nicht bei Scientists-for-Future mitmachen und zugleich auf meinem Einzelbüro bestehen. Indem wir uns den daraus folgenden Nutzungskonflikten aussetzen, wächst der Ansporn, Lösungen zu erforschen, die diesen Konflikten vorbeugen oder sie zumindest entschärfen. Das fließt direkt in unsere Forschung und Lehre ein – und unsere 15.000 Studierenden bringen eine enorme Vielfalt an Perspektiven und Ideen ein. Allerdings sind wir erst auf dem Weg, dieses Reallabor zu entwickeln. Wir müssen dafür – auch das gehört zur Realität – vielfältige verwaltungsrechtliche Fallstricke überwinden und uns viele Freiräume erst erkämpfen. Aber darum geht es ja: Losgehen, Konflikte ausfechten, Interessen unter einen Hut bringen und bei alledem die Verwaltungen mitnehmen, denn sie müssen in der Smart City zu handelnden Akteuren werden und neu entwickelte Prozesse dauerhaft umsetzen.
Es geht auch um Smart-City-Geschäftsmodelle, Forschungstransfer und um Start-ups. Wie schätzen sie die Marktchancen für junge Unternehmen im Bereich Smart City ein?
Koch: Das ist definitiv ein großer Markt für Start-ups. Energie, Mobilität oder Sensorik und Ansätze für digital gesteuerte Infrastrukturen gehören auch zu den Märkten, in denen viele junge Unternehmen starten. Die Transformation im Energie- und Mobilitätssektor lässt etablierte Marktstrukturen aufbrechen. Dabei tun sich Nischen und Chancen auf, die Start-ups mit ihren Ideen nutzen. Das gilt im Bereich der Messungen und Datenerhebung ebenso wie bei deren Auswertung mithilfe von Künstlicher Intelligenz. Ob Vernetzung im Verkehr, ob digitale Plattformen für bessere Kollaboration und Koordination auf dem Bau und im Gebäudemanagement, ob Ideen für den Bildungssektor oder für den Gesundheitsbereich – Start-ups decken mit ihren Ideen die ganze Vielfalt des urbanen Lebens und urbaner Planungs- und Entwicklungsprozesse bis hin zur Digitalisierung der Verwaltungen ab. Das Spektrum reicht von rein technischen Lösungen über Ideen zur Verbesserung von Management-, Steuerungs- und Kommunikationsprozesse bis hin zum Social Entrepreneurship. Wir haben vor einiger Zeit in einer Studie untersucht, wie etablierte Unternehmen das Thema Smart City angehen. Das Ergebnis war, dass sie vor allem auf Kooperationen setzen und gerne mit spezialisierten Start-ups zusammenarbeiten. Denn mit deren Hilfe können sie etwaige Kompetenzlücken schneller schließen. Teams, die hierzulande gründen, haben anfangs oft Probleme mit der umfassenden Bürokratie und Regulierung. Doch dieser Nachteil wandelt sich im Smart-City-Umfeld auf Dauer zum Vorteil. Denn um praktisch umsetzbare Innovationen entwickeln zu können, müssen die Teams den regulatorischen Rahmen von Beginn an mitdenken und sich um Zertifizierungen kümmern.
Eine Form des Wissenstransfers in Märkte sind Ausgründungen. Gibt es entsprechende Ansätze? Ist Ihr Cluster für Ideen und die Vernetzung mit externen Start-ups offen?
Ninnemann: Offen sind wir auf jeden Fall. Wir freuen uns über Ideen und das Cluster ist offen für externe Mitglieder und Kooperationen. Weil wir gerade erst richtig durchstarten, gibt es aber noch keine konkreten Ausgründungsprojekte.
Koch: Was nicht ist, kann noch werden. Wir haben ein gründungsfreundliches Umfeld an der HTW, den Entrepreneurship-Lehrstuhl von Prof. Heike Hölzner und bieten für Gründungswillige alle nötigen Strukturen. Wir denken dieses Thema im Cluster mit, denken über neue Geschäftsmodelle nach und regen dazu an, Gründungsideen rund um Smart Cities zu entwickeln. Wenn es sie gibt, wird es ganz sicher nicht an mangelnder Unterstützung scheitern.
Zu den Personen:
Prof. Katja Ninnemann hat die Professur für Digitalisierung und Workspace Management an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin inne. Prof. Florian Koch ist dort Professor für Immobilienwirtschaft mit Schwerpunkt Stadtentwicklung und Smart Cities. Beide sprechen für das HTW-Forschungscluster „Sustainable Smart Cities“, das einen inter- und transdisziplinären Ansatz verfolgt, um die Digitalisierung urbaner Räume in möglichst vielen Facetten und aus unterschiedlichen Perspektiven erforschen, begreifen und umsetzen zu können. Ein Ziel ist es, den HTW-Campus zum Reallabor zu entwickeln, damit das Cluster neue Wege für smarte, nachhaltige Lösungen identifizieren und erproben kann.
Das Interview führte Peter Trechow für CHIC!