Dem Vergessen auf der Spur
Adlershofer Jung Diagnostics bietet bildbasierte Alzheimer-Risikodiagnostik
Die Firma Jung Diagnostics hat eine Bildanalysesoftware entwickelt, mit der sie schon im frühen Stadium Alzheimer auf MRT-Bildern des Gehirns nachweist. Seit dem Herbst hat sie eine Zweigstelle in Adlershof.
Die Umzugskisten stehen noch auf dem Boden, Computer, Laptops und Kabel sind auf wenigen Tischen verteilt: Erst im Oktober hat Lothar Spies mit zwei Mitarbeitern seiner Firma Jung Diagnostics den Raum im Gründerzentrum in der Rudower Chaussee bezogen. Zum Einrichten war offenbar keine Zeit, die Arbeit geht vor: Auch heute flimmern über einen großen Flachbildschirm MRT-Schichtaufnahmen eines menschlichen Hirns. Ein Arzt aus einem Berliner Krankenhaus möchte schnell wissen, ob der Patient womöglich Alzheimer hat.
An dieser zerstörerischen Demenzerkrankung leiden hierzulande fast eine Million Menschen, Jahr für Jahr kommen mehr als 300.000 hinzu. „Es fängt an mit leichten kognitiven Störungen, Vergesslichkeit und Orientierungsverlust in eigentlich vertrauter Umgebung“, erklärt Lothar Spies. „Solche Symptome sollten zu denken geben.“
Der 46-jährige theoretische Physiker hat die Sprache der Ärzte erst nach dem Studium gelernt – mittlerweile ist sie ihm mehr als vertraut. Nach dem Physikstudium in Bonn zog es Spies in die Anwendung, am Krebsforschungszentrum in Heidelberg entwickelte er bildgebende Verfahren zur Tumorerkennung. Als Projektmanager und Forschungsdirektor bei Philips Research in Hamburg feilte er mehrere Jahre lang an technischen Verbesserungen für Computertomographen (CT). Projekte mit dem Hamburger Uni-Klinikum weckten sein Interesse für Demenzerkrankungen.
Bis in der industriellen Forschung eine Idee zum Produkt werde, das Ärzten wirklich helfe, dauere es oft lange, erzählt der schlanke Mann mit Brille. Dabei gebe es in der Bildbearbeitung schon viele funktionierende Rechenverfahren. „Ich sah die Chance, den Entwicklungszyklus zu verkürzen, indem ich eine Dienstleistungsplattform anbot“, erklärt er seinen Schritt in die Selbstständigkeit.
Seit 2009 ist Spies nun Firmenchef mit derzeit fünf festen Mitarbeitern: Seit einiger Zeit pendelt der zweifache Familienvater auch mehrfach wöchentlich von Hamburg nach Berlin, wo er Mediziner am Benjamin-Franklin-Klinikum und der Charité zu seinen Kunden zählt. „Uns gefällt der Gründergeist, der hier herrscht“, sagt er zur neuen Zweigstelle in Adlershof.
Während Spies erzählt, diskutieren seine Mitarbeiter leise über die Gehirn-Aufnahmen, die der Berliner Mediziner geschickt hat. Zwei bis drei solcher Datensätze bekommt Jung Diagnostics pro Tag, bis zu drei Stunden werden für die Analyse benötigt. „Die Diagnose Alzheimer ist noch immer sehr schwierig zu treffen“, sagt Spies. Die Bildanalyse könne hilfreiche Unterstützung leisten.
80 Prozent Treffsicherheit
Spies und seine Kollegen interessieren sich besonders für die Hippocampi. Diese Hirnstrukturen werden sehr früh durch Alzheimer geschädigt. Sichtbar wird dies an der Abnahme der aus Neuronen-Zellkörpern bestehenden grauen Hirnsubstanz. Aus den schwarz-grau-weißen Pixelpunkten einer MRT-Aufnahme können die Analysealgorithmen von Jung Diagnostics – durch Vergleiche mit Datensätzen gesunder Menschen – Verringerungen im Hippocampus-Volumen und damit eine Alzheimer-Erkrankung nachweisen. Die Treffsicherheit selbst in einem frühen Krankheitsstadium liegt nach Studien, die Spies veröffentlicht hat, bei bis zu 80 Prozent.
Patienten und Ärzte profitieren von einer frühen Demenzdiagnose: Die einen können ihre Angelegenheiten regeln, solange ihr Gedächtnis noch einigermaßen mitspielt. Die anderen hoffen auf neue Therapieansätze. Viele Mediziner hat Spies von seinem Produkt überzeugt – er will nun auch die Krankenkassen für die Kostenübernahme gewinnen. Die Mehrinvestition lohne sich, um aus einer kostspieligen MRT-Aufnahme mehr wertvolle Diagnoseinformation herauszuholen, sagt er. Seine Analyseverfahren will Spies künftig auch für Krankheiten wie Parkinson oder Multiple Sklerose verfeinern.
Von Claudia Wessling für Adlershof Journal