Den Rosen auf der Spur
Am Geographischen Institut der Humboldt-Universität forscht Jakob Engel zu Lieferketten
„We don’t do email in Africa!“ Auf seinen Recherchereisen musste Jakob Engel ein ums andere Mal erfinderisch werden, um an Informationen für seine Forschung zu kommen. Denn in seiner Doktorarbeit ist er dem globalen Rosenhandel zwischen Afrika und Europa auf der Spur. Die zentralen Fragen: Wie sehen Lieferketten aus, welchen Einfluss haben Schocks und Krisen – und was hilft dabei, Lieferketten resilient zu gestalten?
Ein paar schnelle Schnitte mit der Gartenschere, kurze Transportwege – und schon stehen Rosen auf dem Tisch. So sehen Lieferketten heutzutage meist nicht aus. „Wir sehen, dass sich die Produktion von Waren in Prozessschritte gliedert, die an völlig unterschiedlichen Orten ablaufen“, sagt Jakob Engel. Da werden die Rosen dann in Kenia angebaut, in die Niederlande geflogen und landen am Ende in einem deutschen Blumenladen. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts wurden sie vielfach noch in Europa angebaut. „Das wurde aber zu kostenintensiv – insbesondere wegen der hohen Energieaufwände. Für diese harte Arbeit finden sich zudem zu wenig Arbeitskräfte. Im Interview erzählte mir ein deutscher Rosenbauer, er müsste heute acht Euro pro Rose nehmen – so einen Preis ist aber niemand bereit zu zahlen.“
In Subsaharaafrika sind Arbeitskräfte derzeit ebenso günstig wie die klimatischen Bedingungen. So sind hier seit Mitte der 1990er Jahre Farmen entstanden, die teilweise eine Million Rosen am Tag produzieren. Dass diese trotz langer Wege noch attraktiv aussehen, hat mit straff organisierter Logistik zu tun. „Das Produkt Blume ist für die Forschung auch deshalb interessant, weil es eine unglaublich hohe Anforderung an die Kühlkette hat“, kommentiert Jakob Engel. Lagern die Rosen etwa einige Stunden in einem Flugzeug, das keine Starterlaubnis hat, verdirbt die Ware. Damit Produzent:innen und Händler:innen kein Geld verlieren, darf in der Lieferkette nichts schiefgehen. Was bedeutet es da, wenn eine Pandemie ausbricht?
„Für vier bis sechs Wochen war quasi alles dicht.“ Arbeitende konnten nicht auf die Farmen kommen, Rosen konnten nicht transportiert werden und die Auktion in den Niederlanden – ein gigantischer Blumenmarkt mit einem Jahresumsatz von rund 4,5 Milliarden Euro – war geschlossen. „Von einem auf den anderen Tag kam niemand mehr zur Auktion. Es musste massenhaft Ware zerstört werden, sowohl in Kenia als auch in den Niederlanden.“ Der wirtschaftliche Schaden war gewaltig – und brachte insbesondere Arbeitende in Subsaharaafrika in Bedrängnis. „So ein Schock ist im globalen Süden viel gefährlicher als im globalen Norden, es kommt schnell zu Arbeitslosigkeit und Hunger.“ Um das Geschäft rasch wiederzubeleben, musste der Rosenhandel erfinderisch werden. „Nach drei, vier Monaten hat die Auktion in den Niederlanden den Verkaufsprozess digitalisiert – und wir reden hier über eines der größten Handelsgebäude der Welt.“ Trotz aller Probleme führten der Schock der Grenzschließungen und die Coronakrise also auch zu Innovation.
Bis Ende 2024 will Jakob Engel eine Monografie fertigstellen, in der er die Strategien der Akteure erklärt, mit Schocks und Krisen fertigzuwerden. Auch Maßnahmen, mit deren Hilfe sich Lieferketten resilienter gestalten lassen, will der Wirtschaftsgeograph aufschreiben. „Rosen aus Kenia werden im Moment stets geflogen. Wenn da etwas schiefgeht, hängt die gesamte Wertschöpfungskette in der Luft. Würde der Schiffsverkehr hinzukommen, gäbe es eine Ausweichoption und die Kette wäre stabiler.“ Insgesamt sei es in vielen Fällen durchaus sinnvoll, Produkte über komplexe globale Lieferketten zu beziehen, so der Forscher – vor allem aus Kostensicht. Welche Folgen solche Strukturen darüber hinaus haben – etwa für lokale Arbeitsmärkte oder die Umwelt –, steht freilich auf einem anderen Blatt.
Nora Lessing für Adlershof Journal