Der Erdvermesser
Christian Freier arbeitet in Adlershof an Quantensensoren
Ein Deutscher, ein Amerikaner, ein Australier. Und eine Idee, die alle drei faszinierte: Physikalische Grundlagenforschung, in diesem Fall ein damals neues Messverfahren, basierend auf der Nutzung lasergekühlter Atome, markt- und alltagstauglich zu machen.
Der Zufall hatte das Trio an der Australischen National-Universität in Canberra zusammengeführt. Von Adlershof aus gesehen am anderen Ende der Welt, in der sie auch sonst schon reichlich herumgekommen waren. Nomaden eben, so sahen sie sich. Und das sollte sich auch im Namen der Firma spiegeln, die sie Ende 2019 in Australien gemeinsam aus der Taufe hoben: „Nomad Atomics“.
„Es war für uns wichtig, auch in Europa präsent zu sein, und Berlin war für uns die logische Wahl“, sagt Christian Freier, der Deutsche im Gründertrio. Mitte 2020 kam er hierher zurück und bezog ein Büro im Innovations- und Gründungszentrum (IGZ) in der Rudower Chaussee. In Adlershof kannte er sich aus seit seiner Doktorandenzeit. Aus Alt-Treptow, wo er seither wohnt, ist er mit dem Fahrrad in einer halben Stunde dort.
So entstand im September 2021 die Nomad Atomics GmbH als deutscher Ableger des australischen Mutterunternehmens. „Ich bin der einzige Vollzeitmitarbeiter“, sagt Freier. „Wir arbeiten daran, das Team zu vergrößern.“ Bis Ende 2023 solle auch in Adlershof der Laborbetrieb anlaufen.
Ein Hang zum Nomadentum hat den heute 38-Jährigen zeitlebens begleitet. Als Kleinkind zog er aus dem äußersten Südwesten in den Nordosten der Republik, vom saarländischen Blieskastel nach Plau am See. In Berlin leistete er 2003 seinen Zivildienst, immatrikulierte sich dann – „Physik hat mich schon immer sehr interessiert, ich habe als Kind mit dem Teleskop Sterne angeguckt“ – an der Technischen Universität Berlin.
Nach dem Vordiplom zog es ihn für ein Jahr als Austauschstudent ins westkanadische Calgary, wo er seine Frau kennenlernte, eine Kanadierin aus der Atlantikprovinz Nova Scotia. Die Diplomarbeit, später auch die Dissertation an der Humboldt-Universität zu Berlin führten Freier auf das Forschungsfeld, das ihm zur wissenschaftlichen Heimat wurde, die Atominterferometrie. Dabei werde, so Freier, die „Quantennatur kalter Atome“ genutzt, um deren Beschleunigung und andere Umgebungseinflüsse zu ermitteln. Diese Methode ermögliche unter anderem, das Gravitationsfeld der Erde zu vermessen.
Gesteinsstrukturen unter der Erdoberfläche erkunden, den Grundwasserspiegel überwachen, auf hoher See navigieren, das Verfahren leiste all dies mit einer Präzision und Zuverlässigkeit, die keine der entsprechenden herkömmlichen Messmethoden erreiche. Atominterferometrie liefert Daten am Rande des Messbaren und weit jenseits des Wahrnehmbaren, etwa, so Freier, über die Anziehungskraft, die zwei 70 Kilogramm schwere Körper aus dem Abstand von einem Meter aufeinander ausüben.
Quantensensoren, die nach diesem Prinzip arbeiten, gibt es bisher für die Nutzung im Labor. „Die bestehen noch aus mehreren Komponenten und sind relativ unhandlich“, sagt Freier. „Unsere Innovation läuft darauf hinaus, alles in einer kompakten und leicht zu bedienenden Einheit zu integrieren.“ Solche nutzerfreundlichen Geräte wären in Bergbau, Verkehr, Umweltschutz vielseitig einsetzbar. Denkbar wäre sogar, meint Freier, dass künftig „in jedem Auto ein kleiner Quantensensor installiert ist, der das Navigationssystem an Orten unterstützt, wo GPS-Signale nicht oder nur unzuverlässig verfügbar sind“.
Dr. Winfried Dolderer für Adlershof Journal