Der Fliegenzähler
Sami Domisch forscht an semiaquatischen Insekten
Der Eintagsfliege steht die Kurzlebigkeit schon im Namen geschrieben. Vielleicht nicht immer nur ein Tag, gewiss aber nicht mehr als drei oder vier sind ihr in Wind und Sonne vergönnt, dann ist Schluss. Was der Name nicht verrät: Bevor sich die Eintagsfliege in die Luft schwingt, kann sie bereits mehrere Lebensjahre hinter sich haben. Und zwar im Wasser, als Larve.
Sie zählt damit zur Kategorie der „semiaquatischen“, also einen Teil ihres Lebens im Nassen verbringenden Insekten. Eine Eigenschaft, die ihr mit Steinfliegen, Köcherfliegen und Libellen gemeinsam ist. Und ihr das nachhaltige Interesse des seit 2016 in Adlershof wirkenden Biologen Sami Domisch beschert hat. Am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) hat Domisch gemeinsam mit Wissenschaftler:innen aus aller Welt die EPTO-Datenbank aufgebaut, die das globale Vorkommen semiaquatischer Insekten möglichst vollständig dokumentieren soll.
Das Akronym „EPTO“ verweist auf die vier Arten, die dabei im Fokus stehen: Ephemeroptera für die Eintags-, Plecoptera für die Stein-, Trichoptera für die Köcherfliege und Odonata für die Libelle. Was können wir lernen, wenn es gelingt, die seit 1951 bei Gewässerproben weltweit erhobenen Befunde über dieses Quartett an einem Ort zusammenzuführen? Das war die Ausgangsfrage, als Domisch vor zehn Jahren, damals an der Yale University im US-Bundesstaat Connecticut, mit den Recherchen für die Datenbank begann.
Fliegen und Libellen, wie er sie sieht, haben ihren unbestreitbaren Reiz. Nicht nur seien Insekten in der Tierwelt die artenreichste Gruppe. Sie spielten zudem eine Schlüsselrolle, wenn es darum gehe, die Qualität eines Gewässers und seine Entwicklung zu beurteilen. Zumal die Larven der Steinfliege empfindlich auf Verschlechterungen ihrer Lebensumstände reagierten. Um Umwelteinflüsse frühzeitig zu sehen und womöglich zu korrigieren, Wirkungen des Klimawandels zu messen, seien Erkenntnisse über das Vorkommen dieser Spezies ein brauchbares Instrument. Seit März 2023 ist die Datenbank freigeschaltet, abrufbar unter glowabio.org.
Es war für Domisch, der vor 41 Jahren in Helsinki geboren wurde, ein kurvenreicher Weg nach Adlershof. Mit 19 schrieb er sich in Kaiserslautern im Fachbereich Biologie ein, studierte dann Meereskunde in Oldenburg. Die Diplomarbeit entstand auf der Insel Helgoland. Es ging um die Frage, wie sich eine aus Japan eingeschleppte Algenart auf das Wachstum einheimischer Pflanzen am Meeresboden auswirkte. Die Dissertation über das Vorkommen semiaquatischer Insekten in Gewässern deutscher und europäischer Mittelgebirge verfasste Domisch seit 2009 am Frankfurter Senckenberg-Institut. Es folgten drei Jahre in Yale, von wo er das EPTO-Projekt nach Adlershof mitbrachte.
Wie arbeitet es sich hier? „Sehr produktiv“, sagt Domisch, „aber doch entspannt.“ Aus Yale hat er „hohen Druck“ in Erinnerung, der gleichwohl den Arbeitsergebnissen nicht unbedingt zugute gekommen sei. Das sei in Deutschland besser: „Das IGB hat mich sehr gelockt.“ Er kommt mit der S-Bahn vom Prenzlauer Berg, wo er mit Frau und zwei Kindern lebt. Und wann immer möglich seiner Musikliebe frönt, am Klavier und auf der Gitarre.
Dr. Winfried Dolderer für Adlershof Journal