Der gemeinschaftliche Erfolg
Kollektive Problemlösungskultur
In Betrieben der ehemaligen DDR arbeiteten Chefs und Belegschaft oft auf „Augenhöhe“ zusammen. Spuren dieser Tradition finden sich noch heute im Technologiestandort Adlershof.
Das Kollektiv ist tot, es lebe das Kollektiv. Für Peter Strunk, WISTA-Kommunikationschef, steht fest, dass der Geist der Kollektivität, der in den Betrieben der DDR vorherrschte, immer noch existiert – wenn auch unter den Bedingungen der Marktwirtschaft.
Der offene Besprechungstisch
Wie die „Bundesstiftung Aufarbeitung“ darlegt, war das Kollektiv in der DDR nicht nur Instrument der sozialen und ideologischen Kontrolle sowie Mittel, um den Willen der Partei durchzusetzen. Es war auch eine Gemeinschaft zur Bewältigung der Alltagsprobleme. Für Strunk hat der Begriff daher einen positiven Beiklang. In Adlershof, am ehemaligen Standort der Akademie der Wissenschaften der DDR (AdW), hat der „Wessi“ aus Frankfurt am Main Anzeichen für den Fortbestand dieser „Problemlösungskultur“ gefunden. „Ich kann oft schon an der Einrichtung des Büros sehen, ob der jeweilige Chef bereits in der DDR eine leitende Funktion hatte“, sagt Strunk.
Charakteristisch sei, dass sich vor dem Chefschreibtisch gleich hohe Besprechungstische befänden. Der Vorgesetzte konnte sich mit den Mitarbeitern „auf Augenhöhe“ beraten. Für den studierten Historiker Strunk spiegelt sich in derartiger Besprechungskultur die damalige Betriebswirklichkeit. „Es gab in der DDR ein erstaunliches Maß an innerbetrieblicher Demokratie“, erklärt Strunk. In den Betrieben, wo angesichts von Mangelwirtschaft Improvisationstalent gefragt war, habe es den „offenen Besprechungstisch“ gegeben. Die Tradition, kooperativ Lösungen zu erarbeiten, sieht Strunk jetzt auch in Adlershof fortgesetzt.
Wenig von der „These vom egalitären Tisch“ hält Christine Wedler, Geschäftsführerin bei der Firma ASCA GmbH. Der Grad der innerbetrieblichen Demokratie sei stark von den verantwortlichen Personen abhängig gewesen. Und Großbetriebe waren eher hierarchisch als Unternehmen mittlerer Größe oder Institutionen der öffentlichen Forschung.
„Wir haben das nicht gemacht, um reich zu werden“
Viele der derzeit 31 ASCA-Mitarbeiter forschten zu DDR-Zeiten im ehemaligen AdW Zentralinstitut für Organische Chemie, das nach der Wende aufgelöst wurde. Als spätestens im Jahr 2000 die Arbeitslosigkeit drohte, gründete Wedler zusammen mit Professor Hans Schick die Firma, die sich erfolgreich entwickelte. Für die Gründer stehen auch heute noch soziale Aspekte vor Gewinnmaximierung. „Wir haben das ja nicht gemacht, um reich zu werden, sondern um unsere Arbeitsplätze und die der Kollegen zu retten“, sagt Wedler.
Arbeitsplätze zu sichern, das ist für Strunk ein zentrales Motiv der Existenzgründer aus der Ex-DDR. Darüber hinaus formuliert er die These, dass die alten Betriebskollektive „virtuell“ auch heute noch zusammenhielten. „Der eine ist vielleicht Forscher geblieben, der andere Unternehmer geworden, der dritte schon pensioniert.“ Dennoch würden über solche Netzwerke „heute noch Innovationen laufen“.
Da könne was dran sein, meint Stefan Florek, Physiker am Leibniz-Institut für Analytische Wissenschaften – ISAS – e.V. Nach der Wende habe er eine „lange Liste im Kopf gehabt, mit wem er kooperieren könne“. Viele Mitarbeiter habe er an verschiedenen Einrichtungen oder Neugründungen in Adlershof wiedergefunden. Diese „gut vernetzte“ Gruppe sei aber, betont Florek, schon zu DDR-Zeiten „außerhalb der Parteilinie gewesen“. Man habe zusammengehalten und dabei offen und ehrlich miteinander verkehrt. Dass das damalige Zentralinstitut für Optik und Spektroskopie, an dem er arbeitete, Spitzenforschung betrieb, kam den Beschäftigten zugute. Die gesamte Gruppe wurde übernommen.
Gemessen am Netzwerk von Kontakten, das hier geknüpft werden konnte, sei Adlershof tatsächlich etwas Besonderes. Da stimmt der Physiker dem „Wossi“, dem im Osten integrierten Westler, wie Strunk sich bezeichnet, zu.
von Paul Janositz