Der Messzeitenverteiler: Walter Braun koordiniert BESSY-Nutzer
Es ist immer ein bisschen wie Weihnachten, wenn Walter Braun, 62, zweimal im Jahr seinen Gabensack öffnet. Dann verteilt der Physiker am Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie (HZB) die heiß begehrten Messzeiten an der Synchrotronstrahlungsquelle BESSY II.
Walter Braun glaubt an Zufälle. Dass für den Sohn eines Müllers und einer Feierabendbäuerin mit 16 Jahren fest stand, er will Physik studieren, sei wohl so einer gewesen, denn eigentlich hat Braun eine innige Verbindung zum Theater. Schon als Zwölfjähriger schaute er fasziniert der Landesbühne zu, wenn sie im heimischen Schorndorf in der Mehrzweckhalle zum Gastspiel auftrat. Er las George Bernard Shaw, Bertolt Brecht sowie William Shakespeare, die auch heute noch zu seinen Lieblingsautoren zählen. Selbst auf die Bühne gewagt habe er sich indes nie.
Doch sein Lesehunger beschränkte sich nicht auf die Dramatiker. Die Welt der Physik wollte er ebenfalls ergründen. Von Werner Heisenberg und dessen fundamentalen Aussagen zur Quantenmechanik war er begeistert. Walter Braun studierte Physik mit Spezialisierung auf die Festkörperphysik an der Universität Karlsruhe, war am Max-Planck-Institut für Festkörperphysik in Stuttgart tätig, wechselte als Assistenzprofessor an die neu gegründete Universität Osnabrück und landete wenige Jahre später in Berlin. Auch das ein Zufall?
Es waren wohl eher gute Kontakte zu Kollegen am Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY in Hamburg, wo er Mitte der siebziger Jahre seine ersten Gehversuche mit der Nutzung der Synchrotronstrahlung zur Untersuchung von Festkörpern machte. Eines seiner zwei Lichtbabys – der Elektronenspeicherring BESSY I in Berlin-Wilmersdorf – ist als Großvater längst beerdigt. Inzwischen ist Walter Braun mehr als 30 Jahre im Synchrotronstrahlungsgeschäft tätig, in denen er unter anderem zehn BESSY-Strahlrohre gebaut hat, erzählt er stolz. Heute koordiniert der silberhaarige Schwabe jährlich 2.500 Nutzer aus aller Welt, die an der Neutronenquelle BER II in Wannsee und an der Synchrotronstrahlungsquelle BESSY II Experimente durchführen.
Die bei BESSY in Adlershof erzeugte Synchrotronstrahlung, also das Licht mit Wellenlängen vom Infraroten bis in den harten Röntgenbereich, gilt als alternativloses analytisches Werkzeug auf vielen Gebieten der Grundlagen- und angewandten Forschung. Obwohl die Beschleunigeranlage rund um die Uhr läuft, ist nur gut die Hälfte der 600 halbjährlich gestellten Messzeitanträge realisierbar. Für Experimente im Bereich Magnetismus und Materialwissenschaften liegt die Überbuchungsrate momentan beim Vier- bis Fünffachen, sagt Braun. Er prüft die Messzeitvorschläge auf ihre technische Umsetzbarkeit, bewertet werden sie von einem externen international besetzten Beratergremium.
Begeistert ist Hobbyarchäologe Braun auch, wenn Strahlzeit-Nutzer Untersuchungen zur weiteren Interpretation unseres Kulturguts machen. So wie an der Himmelsscheibe von Nebra, die Braun während der Experimentierarbeiten bei BESSY auch einmal selbst in Händen halten durfte. Dass das Leben noch ein paar Zufälle für ihn bereithält, egal ob bei der Begegnung mit anderen Kulturschätzen, auf Brauns Studienreisen oder mit seinen Enkeln, ist für ihn gewiss.
von Sylvia Nitschke
Link: www.bessy.de