Die Kunst des Forschens, das Forschen der Kunst
Lichtinstallationen, Kunst am Bau, historische Denkmäler: Ein Streifzug durch Adlershof
Der Technologiepark Adlershof im Herbst. Glänzende Neubauten, die Türen der Hightech-Unternehmen und Institute verschlossen, kaum Spazierende. Wer das Gelände eilig durchquert, verkennt es leicht als rein funktionalen Ort, „Technik auf der grünen Wiese“, wie der Lichtkünstler Nils Schultze sagt. Seit rund 20 Jahren verwirklicht er hier immer wieder Kunstprojekte und weiß: Wer etwas Zeit mitbringt, kann in Adlershof so manche, auch historische Entdeckung machen.
Im Aerodynamischen Park zum Beispiel, mit seinen technischen Denkmalen der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt ist Geschichte in Beton gegossen. Einst trudelten hier Flugzeugmodelle im Trudelturm, wurden im großen Windkanal Flugzeugtragflächen mittels Luftströmen auf Widerstands- und Strömungsverhalten geprüft. Im 1935 erbauten, schallgedämpften Motorenprüfstand befindet sich heute ein studentisches Begegnungszentrum. Unablässig flüstert hier die Vergangenheit: Auf der Wiese vor dem Motorenprüfstand schießen fünfzehn rote Ellipsen wie sonderbare Pilze aus dem Boden, bringen durch integrierte Lautsprecher Vergangenes zum Klingen. Versatzstücke aus mehr als tausend historischen Audiodokumenten aus dem Deutschen Rundfunkarchiv in Babelsberg dienen der Klanginstallation „AIR BORNE“ als Material. Per Zufallsgenerator lässt sie Motorengeräusche von Doppeldeckern erschallen, Mitschnitte aus dem Cockpit, historische Augenzeugenberichte.
Nur wenige Meter weiter stößt die neugierige Spaziergängerin auf ein rotbraun verrostetes Objekt, in dessen Innerem sich, ausgefräst, sonderbare Zeichen ausmachen lassen. Schultzes „Kryptografisches Experiment“ verweist auf die Arbeiten zu Verschlüsselungstechniken im benachbarten Mathematikgebäude der Humboldt-Universität zu Berlin. Hier wie dort kann die Botschaft entschlüsseln, wer den richtigen Blickwinkel wählt. Das Objekt ist Teil des Adlershofer Gedanken-Gangs, der sich wie ein Lehrpfad durch das Gelände schlängelt, mittels Kunst am Bau und Erklärtafeln Besucherinnen und Besuchern Wissenschaft und Technik zugänglich macht. Der Aerodynamische Park zählt dazu, ebenso wie der Klima-Messgarten und die in Betonkugeln eingelassenen thermokonstanten Labore an der Rudower Chaussee.
Wer der verschlüsselten Botschaft den Rücken kehrt, erspäht auf der anderen Straßenseite ein weiteres Element des Gedanken-Gangs – zumindest theoretisch. Vom Dach des Innovations- und Gründungszentrums (IGZ) zog hier ab 2003 Nils Schultzes grüner Laserstrahl seine Bahn. Bevor er 2015 aufgrund von Bauarbeiten abgeschaltet wurde, strahlte der Laser aus dem Zentrum des Parks bis hinauf zur S-Bahn-Station, leuchtete Anwohnern, Beschäftigten, Gästen den Weg. „Wir sind optimistisch, dass er bald wieder eingeschaltet werden kann“, sagt der Künstler, der nicht etwa wie bei Fitzgerald unüberbrückbaren Klassenunterschieden grünes Licht gab, sondern mit dem Laser eine optische Brücke zwischen Hightech-Gegenwart und historischem Stadtkern aufspannte.
Dass sich Blickrichtungen, Positionen unablässig ändern, kommt auch am Forum zu einem vielschichtigen Bild. Auf fünf Meter hohen Stelen thronen hier zwei übergroße, weiße Köpfe, wenden sich einander zu, verändern ihre Form, wenden sich ab. „Denken, forschen und kombinieren sind Bewegungen im Kopf. Das ist der Grundgedanke“, sagt Josefine Günschel, gemeinsam mit Margund Smolka Kopf hinter den „Kopfbewegungen – heads, shifting“. Wo Stirnen gerunzelt, mitunter durch Verschiebungen innerhalb der komplexen Architektur der Köpfe Gesichtszüge unkenntlich werden, werden sie zu Sinnbildern der Innerlichkeit, der transformativen Kraft veränderten Denkens. Wo sich einer ab- oder dem anderen zuwendet, Kopfbewegungen reaktiv erscheinen, ist geistiger Austausch mit all seinen Konsequenzen, der Dissens in den Wissenschaften ebenso wie der fruchtbare Dialog zwischen den Disziplinen impliziert.
Dass der Suchbewegung des Forschens auch stets ein Überschuss innewohnt, etwas Spielerisches, macht Kunst am Bau im wenige Gehminuten entfernten Integrated Research Institute for the Sciences (IRIS) sichtbar. Scheinbar zufällig verteilt, finden sich überall in dem großflächig verglasten, futuristisch anmutenden Gebäude goldene Elemente, konterkarieren das Nüchterne und Funktionale des Baus. Im Foyer führt eine goldene Leiter ins Nichts, an anderer Stelle blitzt eine goldene Schleusentür, im Aufzug prangt ein goldenes Display.
Dem IRIS architektonisch nicht unähnlich, ragt in der Max-Planck-Straße das in Glas und Grauschattierungen gehaltene Zentrum für Mikrosystemtechnik und Materialien (ZMM) in den Herbsthimmel. Hier macht Kunst am Bau die Verwandtschaft von Natürlichem und Technischem sichtbar, nutzen die Künstlerinnen Günschel und Smolka Insekten und Bauchfüßler, um Forschungsprozesse in der Mikrosystemtechnik assoziativ aufzuschlüsseln. Auf Bildschirmen flimmern Videos von Schnecken, die auf Laborinstrumenten, Fotografien, Gebäudematerialien ihre Spur ziehen. Ob der Schneckenfortschritt, der Forschungsprozess, als quälend langsam oder kontemplativ entschleunigend wahrgenommen wird, bleibt der Betrachterin überlassen.
Draußen dämmert es, die Bienenvölker kehren von ihren Streifzügen rund ums ZMM in die von Josefine Günschel entworfenen Wohntürme zurück. Im Blick der Künstlerin schwirren hier evolutionär geprüfte, vernetzte Mikrosysteme heran. „Sie codieren und entschlüsseln Information, bewegen sich einzeln und agieren doch als Gesamtsystem, stellen als biologische Mikrosysteme einen Stoff her, den wir heute als Smart Material bezeichnen würden.“ Wo draußen verformbares, keimtötendes Bienenwachs durch die Seidenfäden der Larven zu einem Faserverbundstoff wird, fügen sich drinnen individuelle Forschungsleistungen zu einem Ganzen.
Einen halben Kilometer südöstlich des ZMM fließt der Teltow-Kanal, leitet Spaziergängerinnen und Radwanderer zurück ins Berliner Stadtzentrum. Am grünen Ernst-Ruska-Ufer markiert er die Grenze des Technologieparks, der Flaneure mit einem bläulich-türkisen Leuchten in die Nacht entlässt. Mit jeweils 13 LED-Bändern sind die fünf silbernen Wassertanks des Adlershofer Heizkraftwerks umspannt. Wo des nachts fließende Farbverläufe die Temperatur des Wassers im Inneren der Tanks anzeigen, offenbaren sich auch verschwimmende Grenzen zwischen Kunst und Wissenschaft. „Dem Forschen wohnt die Kunst inne“, so sagt es Josefine Günschel. Und, so möchte man ergänzen, der Kunst das Forschen.
Von Nora Lessing für Adlershof Journal