Die Magierin der Oktaven
Nichol (Cohl) Furey forscht am IRIS Adlershof
Oktaven – das klingt für Cohl Furey nicht nur nach Musik. Für die Physikerin stecken sie auch voll Mathematik. Und nicht nur das: Sie ist überzeugt, dass in dem gleichnamigen, achtdimensionalen Zahlensystem eine tiefere Bedeutung schlummert als das bloße Zahl-Sein. So begab sie sich auf die Suche nach Zusammenhängen zur Welt der Elementarteilchen und deren Wechselwirkungen, die die Grundbausteine von Atomen und damit unserer materiellen Welt sind. Vor einem halben Jahr ist die Kanadierin dafür ans IRIS Adlershof der Humboldt-Universität zu Berlin gekommen, für sechs Jahre finanziert durch ein Freigeist-Stipendium der Volkswagenstiftung.
„Wir stellen uns die womöglich ultimative Frage: Was macht die Natur aus – auf ihrem aller grundlegendsten Level?“, sagt Cohl Furey. „Manchmal habe ich das Gefühl, es ist überhaupt nur diese Frage, die zählt.“
Von Elementarteilchen war sie schon in der Schule fasziniert. Besonders von der Tatsache, dass es bislang nicht gelungen ist, alle vier Kräfte, die zwischen ihnen wirken, in einem theoretischen Modell zu vereinen.
Gehen andere Forschende mithilfe riesiger Teilchenbeschleuniger auf die Suche nach immer neuen Partikeln, um das große Puzzle zu vervollständigen, will Furey die Lösung rein durch Nachdenken finden – in der Welt der Zahlen. Hierin liege, so glauben einige, der natürliche Ursprung der Physik.
Oktaven (im englischen Sprachraum auch als Oktionen bzw. Caleyzahlen bekannt) sind die vierte und letzte Stufe eines Sets an Zahlensystemen, das sukzessive aus den reellen Zahlen aufgebaut ist. Für die ersten drei ist eine physikalische Interpretation bereits gefunden: Die reellen Zahlen, mit denen wir im täglichen Leben umgehen, beschreiben die Welt, wie wir sie wahrnehmen. Die zweidimensionalen komplexen Zahlen, vorstellbar aus zwei reellen Zahlen wie in einem x-y-Koordinatensystem verortet, bilden die Grundlage für die Quantenmechanik. Die daraus zusammengesetzten vierdimensionalen Quaternionen sind das Gerüst für Einsteins spezielle Relativitätstheorie. Bloß die achtdimensionalen Oktaven sollten ohne Bedeutung sein? Das leuchtete auch Furey nicht ein.
Sie machte sich an die Arbeit, und flocht erste Ergebnisse von Murat Günaydin aus den 1970er Jahren ein. Als sie ihm gegen Ende ihres Studiums ein Oktaven-Modell der starken und der elektromagnetischen Wechselwirkung vorstellte, riet er ihr trotzdem ab, das Thema weiter zu verfolgen. Es sei zu ungewöhnlich und daher einer wissenschaftlichen Karriere womöglich nicht zuträglich. Doch Furey ließ sich nicht beirren. Lieber würde sie sich das nötige Geld nebenbei als Straßenmusikerin verdienen. Das war bislang nicht nötig. Nach der erfolgreichen Promotion fand sie für dreieinhalb Jahre eine Postdoc-Stelle in Cambridge, England.
Mittlerweile ist es ihr gelungen, weitere Verbindungen der Oktaven zur Teilchenwelt zu knüpfen. Beispielsweise kommen Quarks und Leptonen in drei Varianten vor. Warum nicht in zwei oder hundert? Das lässt sich bislang weder physikalisch noch mathematisch erklären. Indem sie Ketten von Oktaven bildete, fand Furey solche Dreifach-Strukturen für niedrige Energien auf natürliche Weise.
Am IRIS Adlershof will sie sich den Grundlagen der sogenannten Quantenfeldtheorie zuwenden, in der auch die Wechselwirkungen als Teilchen angesehen werden. „Die Humboldt-Universität hat einige der weltweit führenden Forscher auf dem Gebiet, darunter Dirk Kreimer, Jan Plefka und Matthias Staudacher, und ich freue mich, mit ihnen zu arbeiten“, betont Furey, die perspektivisch auch ihre eigene Forschungsgruppe aufbauen will.
In Berlin fühlt sie sich bestens aufgehoben: „Sogar mitten in einer Pandemie vergeht kaum ein Tag, an dem ich nichts Exzentrisches erlebe: von zwei Meter hohen Einrädern, tätowierten Gesichtern bis zu Menschen, die ihren Esel auf dem Tempelhofer Feld spazieren führen.“ Auch in ihrer Freizeit lernt sie gern Neues wie etwa Akkordeon oder Banjo-Ukulele zu spielen. Ihr Training in Mixed Martial Arts hat sie in die Grünanlagen der Stadt verlegt. Von Klein auf betreibt sie diese taffe Vollkontakt-Kampfkunst – und freut sich über die vielen neugierigen Kinderblicke: „Ich liebe nichts mehr als die Vorstellung, dass ich in ihren jungen Köpfen bleibenden Eindruck hinterlasse: Das ist es, was Frauen machen.“
Eindruck hinterlässt die drahtige, beinahe ein wenig mystische Erscheinung der Anfang Vierzigjährigen auch als Wandlerin zwischen den musikalischen, mathematischen und physikalischen Klängen der Oktaven.
Bei der Suche nach vereinheitlichten Theorien, womöglich sogar einer Weltformel, setzen Forschende mittlerweile auch auf Methoden der künstlichen Intelligenz. „Es scheint“, warnt Furey, „als sollten wir Menschen uns ein bisschen beeilen.“
Von Dr. Uta Deffke für Adlershof Journal