Die Meilenmeister
Wo Adlershofer Innovationen landen
Hightech aus Adlershof ist in aller Welt gefragt. Wir werfen einen Blick auf die Strecken, die Innovationen von hier bis zu ihren Abnehmern zurücklegen. Manchmal sind das nur ein paar Schritte zu Kunden in direkter Nachbarschaft, manchmal werden aber auch Entfernungen kosmischen Ausmaßes zurückgelegt. Wir haben nachgemessen, welche Produkte die meisten Meilen auf dem Buckel haben.
Ein Vorteil des Wissenschaftsstandortes sind die kurzen Wege – mitunter ist der Weg eines Apparates oder Bauteils vom Hersteller zum Kunden in nur ein paar Schritten erledigt. Doch meist ist es damit nicht getan. Es gibt sogar einen wahren Meilenmilliardär: das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). „Von den vielen in Berlin-Adlershof entwickelten Produkten dürften einige der am Institut für Planetenforschung entwickelten Instrumente den längsten Weg zu ihrem, nun ja: nicht Kunden, aber zu ihrem Bestimmungsort zurückgelegt haben“, sagt Ulrich Köhler vom DLR und wird konkret. So bewältigte allein die Stereokamera HRSC (High Resolution Stereo Camera), die mit der Sonde Mars Express der Europäischen Weltraumorganisation ESA am 2. Juni 2003 vom kasachischen Weltraumbahnhof Baikonur auf den Weg gebracht wurde, rund 482 Millionen Kilometer. Köhler: „Diese Strecke entspricht mehr als zwölftausend Umrundungen der Erde entlang des Äquators!“
Zwar ist der Mars keine 500 Millionen Kilometer von der Erde entfernt. Doch da die Bahnen von Raumsonden keine Geraden sind, sondern wegen der gleichzeitigen, permanenten Bewegung von Start- und Zielplanet auf ihren elliptischen Bahnen um die Sonne ebenfalls elliptisch sind, kommen auf der etwa sechsmonatigen Reise von der Erde zum Mars fast eine halbe Milliarde Kilometer zusammen. Doch damit nicht genug. Mars Express hat seit seiner Ankunft am 25. Dezember 2003 inzwischen über elfeinhalbtausend Umrundungen des Roten Planeten hinter sich. Das bedeutet, die Sonde hat mitsamt der DLR-Kamera weitere, fast 600 Millionen Kilometer auf dem Buckel, rechnet Köhler vor: „Insgesamt ist dieses Produkt aus Berlin-Adlershof also bereits deutlich über eine Milliarde Kilometer weit gereist – oder etwa 1500-mal zum Mond und zurück.“
Eine noch viel weitere Strecke als die Marskamera absolvierte ein Instrument, das zwar nicht im DLR entwickelt und gebaut, in Adlershof aber auf seine Weltraumtauglichkeit getestet wurde: Der Cosmic Dust Analyzer (CDA), der mit der Saturnsonde Cassini-Huygens unterwegs ist. Eine Art kosmischer Staubsauger, mit dem intraplanetare und kosmische Staubpartikeln untersucht werden. Zur Vorbereitung auf seinen Einsatz wurde das Instrument in der Weltraumsimulationskammer des DLR auf seine Eignung für die Reise durch die Tiefen des Sonnensystems getestet.
Inzwischen hat die Sonde und damit der CDA mehr als fünf Milliarden Kilometer zurückgelegt. Zum Vergleich: Das am weitesten von der Sonne und damit auch von der Erde entfernte menschengemachte Objekt, die vor 35 Jahren gestartete Sonde Voyager 1, hat inzwischen 24 Milliarden Kilometer zurückgelegt. Das sind Distanzen, die das menschliche Vorstellungsvermögen übersteigen. Doch auch andere Innovationen von Instituten und Unternehmen am Standort legen sehr weite Strecken zu ihrem Bestimmungsort zurück.
Hier kommen die drei Top-Meilenschinder:
1. Stereokamera HRSC
Hersteller: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Institut für Planetenforschung
Zurückgelegte Strecke: Mehr als eine Milliarde Kilometer
Vergleich: Das entspricht der Strecke 1500-mal von der Erde zum Mond und wieder zurück.
Funktion: Hochauflösende Stereokamera
Anwendung: Mit dem Aufnahmesystem werden Oberflächen von Planeten kartiert.
Besonderheiten/Innovation: Erstmals lassen sich mit dieser Kamera Planetenoberflächen dreidimensional global topografisch erfassen.
2. Das neue "Urkilo"
Hersteller: Leibniz-Institut für Kristallzüchtung (IKZ)
Zurückgelegte Strecke: Das Silizium für die Erstellung eines neuen Kilogramm-Maßstabs ist gestartet in Russland, in Berlin wurde der Kristall gezüchtet, in Australien die Kugeln geschnitten, die dann an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig „vermessen“ wurden. Auf der Strecke Nischni Nowgorod–Berlin–Sydney–Braunschweig hat das Material rund 34.500 Kilometer zurückgelegt.
Vergleich: Hin- und Rückflug von Berlin nach Wellington, Neuseeland
Funktion: Das internationale Forscherteam möchte mit dem Einkristall dabei helfen, das Kilogramm neu zu definieren.
Anwendung: Auf diese Weise können die Atome buchstäblich gezählt werden, um neben der Neubestimmung des Kilogramm-Maßstabs auch die Avogadro-Konstante genauer zu bestimmen. Diese gibt an, wie viele Teilchen sich in einem Mol eines Stoff es befinden.
Besonderheiten/Innovation: Die Forscher wollen aus dem Volumen der Kugel, der Größe der Elementarzelle und der Zahl der Atome in der Elementarzelle die Zahl der Atome in der Kugel insgesamt bestimmen – am Ende könnte ein neuer Standard für die Maßeinheit Kilogramm stehen, das vom Urkilo in Paris abweicht.
3. System zum Ausheizen von Speicherringen
Hersteller: BESTEC GmbH
Zurückgelegte Strecke: Die zurückgelegte Strecke Berlin-Melbourne beträgt 22.414 km. Luftlinie sind das rund 15.985 Kilometer.
Funktion/Anwendung: Modulares System zum Ausheizen von Speicherring-Segmenten für das Boomerang Synchrotron Australia
Besonderheiten/Innovation: Hochspezielles, leistungsfähiges System, das weltweit von Betreibern von Teilchenbeschleunigern nachgefragt wird.
Von Chris Löwer für Adlershof Journal