Die Messprofis
Adlershofer Start-up 5micron misst da, wo andere nicht hinkommen
Minus 55 bis plus 75 Grad Celsius, heftige Strömungen und Vibrationen – auf einem Flugzeugflügel kann es ungemütlich werden. Genau das richtige Ambiente für die Messtechnik, die das 5micron-Team seit Beginn dieses Jahres am Standort Adlershof entwickelt. Sie haben sich auf die Vermessung von Oberflächen spezialisiert. Flugzeugflügel sollen zum Beispiel super glatt sein, damit sich die richtige Strömung ausbildet.
Der Firmenname 5micron ist Programm: Auf fünf Mikrometer genau wollten es die meisten Kunden wissen, sagt Jean Blondeau. Grundlage für ihre Entwicklungen sind gängige berührungslose Messverfahren wie Infrarot- oder Videokameras, Ultraschall, Radar, Thermografie oder einfache Deflektometrie. „Wir entwickeln daraus Speziallösungen für unsere Kunden, die unter extremen Bedingungen einsatzfähig sind“, erläutert Blondeau. Der 65-Jährige sprüht vor Kreativität. Zur Vermessung von Flugzeugflügeln könne man beispiels-weise einfach die Sonne als Lichtquelle nutzen und entstehende Schatten vermessen. Da sich der Sonnenstand je nach Tages- und Jahreszeit ändert, braucht es dafür nur die genauen Positionsdaten der Sonne, um den aktuellen Einfallswinkel des Lichts genau zu bestimmen.
Vielleicht ist es sein Hintergrund als Biologe und Biokybernetiker, der so erfinderisch macht und den Blick für einfache und gerade deshalb besondere Lösungen öffnet. Vor über 40 Jahren kam Blondeau zur Promotion nach Deutschland – um über Fliegen, die ferngesteuert werden, zu forschen. Mittlerweile hat sich sein Fokus von tierischen auf künstliche Flugobjekte verschoben. Zuletzt arbeitete er beim Luftschiffentwickler Cargolifter und anschließend in der Forschungsabteilung des brandenburgischen Flugzeugsystementwicklers FTI Group – zusammen mit Ute Franke. Die Bauingenieurin hat als Pilotin von Kleinflugzeugen ebenfalls ein Faible für das Fliegen.
Keine schlechten Voraussetzungen, um nochmal mit einem eigenen Ingenieurbüro durchzustarten. „Wir wollten uns persönlich weiterentwickeln und können dabei einerseits auf unsere guten Kontakte zur Branche und andererseits auf unser Wissen um den Bedarf an Speziallösungen bauen“, berichtet Franke. Sie managt die Projekte, Blondeau schätzt aber auch ihren Ingenieurinnenblick. 5micron arbeitet auch daran, aus normalen Bildern ohne Referenz und Skala die Topographie einer Oberfläche abzuleiten. „So können wir Informationen darüber geben, ob es sich bei einer Struktur um eine Delle oder Beule handelt“, erläutert Franke. Das ist beispielsweise von Interesse, wenn Maschinen zur Wartung an nicht sichtbaren Stellen mit einer Kamera inspiziert werden.
Aktuell sind sie unter anderem an dem großen EU-Projekt Clean Sky beteiligt, das Technologien für eine klimafreundlichere Zukunft der Luftfahrt entwickelt. Zusammen mit Airbus und anderen Partnern arbeiten sie an einer Verbesserung der Flügelprofile. Ein Plakat über Frankes Schreibtisch zeigt ein Flugzeug mit den neun Meter langen neuen Flügelspitzen, auf die ein System aus acht Kameras montiert ist. Damit können die Experten von 5micron die Verformung der Oberflächen genau beobachten, die während des Fluges durch Druckunterschiede, Materialeigenschaften oder Insektenaufprall auftreten. Die Lösungen von 5micron werden auch in kleinen Dimensionen gebraucht. So miniaturisieren sie etwa für einen Triebwerkhersteller ein Verfahren zur Vermessung der Oberflächen von Triebwerksschaufeln, damit die Triebwerke ohne Demontage inspiziert werden können.
Neben der Luftfahrt könnten auch Eisenbahn, Automotive und Windenergie von den Oberflächenspezialisten profitieren. Adlershof als Standort haben sich Blondeau und Franke bewusst gewählt. Nicht nur wegen des historischen Luftfahrthintergrunds. „Es ist wie eine WG für Firmen mit der perfekten Mischung aus alteingesessenen und neuen Unternehmen und Forschungseinrichtungen“, betont Franke. „Das Netzwerken wird einem leicht gemacht, es gibt viele Gleichgesinnte und wir bekommen gute Unterstützung.“
Außerhalb von Berlin, in Wildau, betreibt 5micron noch einen 1:1-Prüfstand für das Clean-Sky-Flügelprofil und ein Werkstattlabor. Hier werden Prototypen von Messsystemen gebaut und getestet. Für eine Fertigung größerer Stückzahlen suchen sie derzeit einen Partner.
Von Uta Deffke für Adlershof Journal