Die Mobilitätsdenkerin
Meike Jipp entwirft in Adlershof Konzepte für den Verkehr der Zukunft
Der Bus kommt auf Bestellung. Nimmt den Fahrgast an Bord. Bringt ihn bis zum gewünschten Ziel. Und wenn nicht ganz so weit, dann doch mindestens zum nächstgelegenen Umsteigepunkt. Dass grüner Strom das Gefährt antreibt, versteht sich. Womöglich sitzt auch kein Mensch mehr an einem Lenkrad. „Mobilität sicherstellen und gleichzeitig das Klima retten“, nennt Meike Jipp das Thema, das sie umtreibt. Die Quadratur des Kreises? Nicht, wenn man über Jipps Vorstellungsvermögen verfügt.
„Zu beeinflussen, wie die zukünftige Welt aussieht und dafür zu sorgen, dass sie besser wird, das ist mir wichtig“, sagt die 42-jährige Psychologin. Und noch etwas: „Ich bin eine schlechte Mitarbeiterin.“ Vorgesetzten ohne guten Grund zur Hand zu gehen, sei nicht ihr Ding. Lieber führt sie selbst, seit April dieses Jahres rund 70 Beschäftigte des Instituts für Verkehrsforschung vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. in Adlershof. Ein interdisziplinäres Team, das sein ganzes Augenmerk der Frage widmet, wie sich unsere heutige Mobilität so verändern lässt, „dass sie immer noch stattfindet, aber auf klimaneutralere Art“. Jipp: „Wir machen Vorschläge, geben Einschätzungen ab. Entscheiden müssen Politik und Industrie.“
Aufgewachsen in Wilferdingen, einer 5.000-Seelen-Gemeinde am Ostabhang des Schwarzwaldes. Von dort zum Studium nach Mannheim und Ottawa, Kanada. Ein Intermezzo in Lissabon, dann San Francisco, Braunschweig, jetzt Adlershof. Bereits in ihrer Zeit am Braunschweiger Institut für Verkehrssystemtechnik ab 2014 war Jipp immer wieder hier: „Gefühlt jedes Mal fünf neue Forschungsinstitute, zehn Neubauten. Ich war sehr, sehr beeindruckt, wie sich das entwickelt.“
Das Arbeitsfeld, das sie auf Dauer faszinierte, die Schnittstelle zwischen Psychologie und Ingenieurwesen, hatte Jipp schon ziemlich zu Anfang ihres etappenreichen Berufsweges entdeckt. Wie fühlt sich der Mensch mit der Technik? Wie lässt sie sich für seine Bedürfnisse optimieren? In ihrer Dissertation befasste sie sich mit der Frage, wie man einem automatischen Rollstuhl beibringt, von sich aus die Richtung einzuschlagen, die sein Fahrer wünscht, indem er dessen Augenbewegungen abliest.
Das Verhältnis von Mensch und Technik, das Wohlbefinden des Nutzenden mit dem Fahrzeug, entscheide auch über den Erfolg der Verkehrswende: „Ich muss die Menschen überzeugen, sich statt ins Auto aufs Fahrrad oder in den Bus zu setzen.“ Warum nicht Busse mit eigenen Wellness-Zonen? Arbeitsbereichen, die auch für Videokonferenzen ausgelegt sind? Ein öffentliches Verkehrswesen, flächendeckend, attraktiv, flexibel. Autos werde man dann nur noch selten auf der Straße sehen.
Das prophezeit eine Expertin, die selber gut zu Fuß ist. Im Harz gibt es 222 Anlaufstellen, wo sich Wandernde die zurückgelegten Wegstrecken mit einem Stempel bescheinigen lassen können. Jipp hat sie in dreieinhalb Jahren allesamt abgelaufen. Sie darf sich seither mit dem Titel einer „Harzer Wanderkaiserin“ schmücken.
Winfried Dolderer für Adlershof Journal