Die Visualisierung der Wissenschaft
Beim Exzellenzcluster Bild Wissen Gestaltung sind auch Adlershofer Forscher aktiv
Sich ein Bild machen. Das klingt einfach, zumal wenn es um objektive Dinge geht und gestandene Forscher im Spiel sind. Physikalisches Gesetz, chemische Zusammensetzung, mathematische Formel – solche Sachverhalte sind von jedem überprüfbar, der die nötige Sachkenntnis hat. Und doch kann das Ergebnis unterschiedlich dargestellt und verstanden werden, je nachdem welche Fachsprache, welche Epoche oder welcher Kulturkreis im Spiel ist. Mit der zentralen Rolle der Visualisierung für die Wissenschaft beschäftigt sich jetzt das Exzellenzcluster „Bild Wissen Gestaltung“ der Humboldt-Universität zu Berlin.
„Bilder gehören zu meinem Kerngeschäft“, sagt Norbert Koch, Professor am Institut für Physik in Adlershof. Der 41-jährige Forscher arbeitet viel mit Rastermikroskopen. Dabei werden Objekte per Elektronenstrahl oder mit einer feinen Spitze abgetastet und die Wechselwirkungen mit der Oberfläche registriert. Strukturen im Bereich von Nanometern (millionstel Millimeter), sogar einzelne Atome, lassen sich so sichtbar machen.
Es handelt sich dabei allerdings nicht um Fotos, die die Wirklichkeit abbilden, erklärt Koch, auch wenn dies oft angenommen würde. Es sind vielmehr graphisch aufbereitete Datensätze. Sie kommen dadurch zustande, dass die gemessenen Signale optisch, etwa in Grauwerte, umgesetzt werden. Solche Bilder lassen Raum für Spekulationen. Wissenschaftler würden sie – je nach persönlichem Erfahrungshintergrund – auch unterschiedlich interpretieren, sagt Koch.
Wer komplexe Zusammenhänge, eine physikalische Formel etwa, erklären muss, ist über anschauliche Grafiken froh. Doch auch die schönsten Schaubilder können an der Realität vorbei gehen, etwa wenn Einschränkungen oder Vereinfachungen nicht ausreichend erklärt oder vom Betrachter nicht wahrgenommen werden. „Bilder sind gestaltet und sie gestalten das Wissen, das sie weitergeben“, erklärt Kunsthistoriker Horst Bredekamp, einer der beiden Sprecher des Clusters.
Die Wissenschaften wenden sich immer mehr dem Bild zu, sagt Wolfgang Coy, Informatik-Professor in Adlershof. Diese Entwicklung sei getrieben durch Digitalisierung und neue Informationstechniken, speziell der Bildverarbeitung. Coy verweist auf die lange Tradition der Visualisierung, das Streben nach einer einheitlichen Bildsymbolik, wie sie heute etwa die Piktogramme darstellen.
Sich der Bedeutung von Bildern bewusst zu werden und wissenschaftliche Methoden kritisch zu hinterfragen, ist das Anliegen des Clusters, für das die HU Mitte Juni 2012 den Segen der Exzellenzjury bekommen hat. Es ist ein wahrlich interdisziplinäres Vorhaben, denn 22 Fachgebiete mit etwa 150 Forschern innerhalb und außerhalb der Universität sind beteiligt. Auch Museen wirken mit.
Kennzeichen der Projekte ist das Zusammenspiel von Kultur- und Naturwissenschaften. Entstehen soll ein interdisziplinäres Labor, das nicht nur die Kooperation zwischen verschiedenen Fachgebieten erleichtert. Es sollen auch die Denk- und Arbeitsweisen etwa zwischen Forschern unterschiedlicher Kulturkreise reflektiert werden. „Ein japanisches Labor sieht ganz anders aus als ein amerikanisches oder ein deutsches“, sagt Jürgen Rabe, ebenfalls Professor am Adlershofer Physik-Institut. In Berlins Technologiestadt soll das Labor realisiert werden. Für die Forschungsplattform, „Integrative Research Institute for the Sciences“ (IRIS), wird in Adlershof ein neues Zentrum gebaut. „Gemeinsam mit Kulturwissenschaftlern schauen wir uns weltweit verschiedene Gebäude an“, erklärt Rabe. Es geht nicht nur um die Labore und deren Ausstattung. Auch die Anordnung von Gruppen- und Seminarräumen sowie historische Aspekte sind interessant. „Wir wollen auch begreifen, wie in der Vergangenheit Theorie und Praxis verknüpft waren“, sagt Rabe.
Dabei wird auch der Modellbau reflektiert werden. Der Code, der den Übergang von der zwei- zur dreidimensionalen Welt beschreibt, fasziniert den Adlershofer Mathematik-Professor Jochen Brüning. Er nennt Graphen als Beispiel, diese eigenartige Modifikation des Kohlenstoffs, das nach der Theorie in der zweidimensionalen Form gar nicht stabil sein dürfte. Ob eine dreidimensionale Struktur mit zweifellos überraschenden Eigenschaften zu erreichen ist? Für Brüning ist das keine Frage. „Der Cluster vereinigt Wissenschaftler, die den Mut haben zu träumen“, sagt der Mathematiker. Das trifft wohl auch auf weitere Projekte zu, die der Cluster anpacken will. Beispielsweise geht es um die Struktur von Naturmaterialien wie Muscheln, Knochen oder der Panzer von Käfern. Interessant erscheint auch der Glasschwamm aus der Tiefsee. Wenn es gelänge, seine unzerbrechliche Struktur aufzuklären, könnte dies für neue Baustoffe genutzt werden.
Von Paul Janositz für Adlershof Journal