Dimmende Fenster: Selbstregulierender Sonnenschutz mit temporären Milchgläsern
Wenn die Tilse Formglas GmbH Fenster für Jachten, Wintergärten oder Atrien fertigt, ist jede Scheibe ein Unikat. Nun bringt sie Fenster auf den Markt, die sich unter Wärmezufuhr eintrüben und beim Abkühlen wieder klar werden. Das Know-how dazu kommt aus Adlershof. Hier produziert Tilse auch die wichtigste Zutat der smarten Fenster.
Winfried Werner ist voll bepackt. Mit einer halbrund gebogenen Glasscheibe unterm Arm und ausgebeulten Jutetaschen in beiden Händen kommt der Entwicklungsleiter der Tilse Formglas in die Adlershofer Zweigstelle des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Polymerforschung (IAP). Er holt hier den Schlüssel zum Labor ab, das sein Unternehmen gleich nebenan bezogen hat.
Entlastung für Klimaanlagen
Die neuen Nachbarn sind alte Bekannte. Sie haben zusammen eine Neuentwicklung realisiert, die den Glasmarkt verändern dürfte: Fenster, die sich bei starker Sonneneinstrahlung in Milchglas verwandeln und wieder klar werden, sobald sie sich abkühlen. „Moderne Gebäude mit großen Glasfronten benötigen mehr Energie zum Kühlen als zum Heizen”, erklärt Werner. Der selbstregulierende Sonnenschutz könne Klimaanlagen in großem Stil entlasten. Denn in gedimmtem Zustand lassen die Fenster zwar noch Licht durch, aber bis zu 30 Prozent weniger Energie. An kalten Tagen kommt die Sonne ungehindert herein.
Inzwischen hat Werner seine Mitbringsel in Stellung gebracht. Die halbrunde Glasscheibe ist über einen Transformator an eine Steckdose angeschlossen. Als er den Schalter umlegt, wird die milchige Scheibe schlagartig klar. Fließt kein Strom mehr, ist der Durchblick gleich wieder weg. „Mit solchen elektrochromen Gläsern hat die Entwicklung angefangen”, berichtet er. Im Laufe verschiedener Förderprojekte mit dem IAP habe man dann auf den Thermoeffekt umgeschwenkt.
Dimm-Effekt durch Mikrokapseln
Doch wie funktioniert das? Werner deutet auf die Stirnseite des Glases. Bei genauem Hinsehen zeigt sich, dass es ein Sandwich aus zwei Glasscheiben mit einer Art Folie in der Mitte ist. „Der Dimm-Effekt passiert in dieser Harzschicht, in der polymere Mikrokapseln verteilt sind”, erklärt er. Diese ändern bei circa 40°C ihre Struktur und streuen das einfallende Licht. Den chemischen Part der Entwicklung haben die Fraunhofer-Forscher beigesteuert. Das Glas-Know-how und die homogene Verteilung der Partikel in der Funktionsschicht war Sache von Tilse. Der Mittelständler fertigt im Brandenburgischen Liepe gläserne Unikate, mit denen er neben Atrien und Erkern hochwertige Wintergärten und Jachten ausstattet. In diesen Nischen sollen die smarten Fenster erste Käufer finden und dann nach und nach weitere Märkte erobern.
Sprühtrockner entwickelt
Die zentrale Infrastruktur dafür ist jüngst per Kran in die Adlershofer Laborräume eingezogen: ein nagelneuer Sprühtrockner. In solchen Geräten wird unter anderem Milchpulver aus Milch gewonnen. Für die temporären Milchgläser wird Tilse-Mitarbeiter Sven Feldmann stattdessen eine wässrige polymerhaltige Lösung verarbeiten. Diese wird eingesprüht, das Wasser verdampft und die Mikrokapseln bleiben übrig. „Wir werden die Produktion langsam hochfahren”, sagt Werner. Da der Sprühtrockner anfangs nicht ausgelastet sein wird, kann er sich vorstellen, dass auch Nachbarn das Gerät nutzen. Für solche Synergien seien Technologieparks schließlich da.
von Peter Trechow
Link: www.tilse.com