Ein dicker, steiniger Fluss
Die Künstlerin Lisa Premke macht Räume hörbar
„Es gibt Geräusche“, sagt Lisa Premke, „die sind wie gespeicherte Frequenzen, tief in unserem Unterbewusstsein verankert. “Der dicke, steinige Fluss ist das Geräusch ihres eigenen Blutes. Bei einer ärztlichen Untersuchung hört sie es und macht es zum Thema einer ihrer Arbeiten. Premke hört Räume, wie sie selbst sagt. Stille ist ihr unheimlich.
Akustik – das ist Leben. Vor 18 Monaten hat sie ihr Atelier in Adlershof bezogen, es ist ihr erstes festes in Berlin.
Es war eines ihrer ersten Projekte: Ein dunkler Keller in der niederländischen Gerrit Rietveld Academie in Amsterdam, acht Lautsprecher und der Sound ihres eigenen Blutes. Meditative, fast fötale Positionen hätten die Besucher eingenommen, in der Erinnerung an diesen Sound, der ihnen oder wenigstens ihrem Unterbewusstsein so vertraut war. „Im Mutterleib“, sagt die Künstlerin Lisa Premke, „haben wir das zuletzt gehört.“ Die Frequenz bleibt offensichtlich unterbewusst eingespeichert.
Premke kreiert Räume, in denen sich die Besucher auf eine bestimmte, geplante Weise bewegen müssen, sie Teil der Kunst, sogenannte Soundobjekte werden. Immer interessiert sie das Undeutliche, das „Zwischenliegende“, das Verhältnis von Geräusch und Sprache, die Hierarchie der Sprache.
Lisa Premke hat immer Materialstudien im Kopf – Frequenzen. Ihre Wahrnehmung sei zwar zweiteilig, akustisch und visuell, aber akustisch bedeute für sie lebendig. Aus ihrem Architekturstudium erinnert sie, dass es immer ein Ziel von Architektur war, Geräusche zu minimieren oder gar zu eliminieren. Also hat sie nach Soziologie, Ethnologie und Architektur auch Kunst in Amsterdam sowie Sounddesign in Glasgow studiert, um Objekten eine Stimme zu geben, Geräusche in Räume zu projizieren und ihnen damit Leben und ihre Geschichten zu geben oder gar zurückzugeben. „Geschichten“, sagt Premke, „werden in Objekten eingefroren.“
Geschichten, wie sie der bunte Teppich aus Lima in ihrem Atelier erzählt. Aufgezogen auf einen Rahmen bildet er den Hintergrund für unzählige einzelne Fäden, die in den Farben des Teppichs davor gespannt sind. Durch die Bewegung der Fäden entstehen leise Geräusche – der Teppich erhält seine Stimme zurück.
Verlust, dass sei ihr ein wichtiges Thema, erzählt Lisa Premke. „Mir fällt immer als erstes auf, wenn Menschen etwas verloren haben, auch wenn es nicht sichtbar ist.“ Ihr Anliegen sei es, das Verlorengegangene hervorzuheben.
Wie in Chemnitz. Die sächsische Stadt war lange ein Zentrum der Textilindustrie. 30, 40 Webmaschinen standen in der Fabrik, die Premke besucht hat. Jede machte einen Höllenlärm. 80 Prozent der Mitarbeiter der Fabrik waren taub oder schwerhörig. „Trotzdem“, erzählt die Künstlerin, „haben die Menschen in der Fabrik es als kollektiven Verlust empfunden, dass die Produktion – ihre Geschichte – nicht mehr existiert.“ Die Maschinen sind unter anderem nach Peru verkauft worden, an Familien und Kleinunternehmen. Die Teppicharbeit in Premkes Atelier ist von dieser Geschichte inspiriert.
„Immer, wenn ich Bewegung sehe, höre ich gleich etwas“, sagt Lisa Premke. Hinhören, lauschen, Töne erfassen, das habe sie wohl am Piano gelernt. Weil sie keine Noten lernen wollte, hat sie sich das Stück immer erst von der Klavierlehrerin vorspielen lassen, um es dann sofort nachzuspielen. Vier Jahre lang hat sie ihre Lehrerin so austricksen und ihr Gehör trainieren können.
Nach ihrem Lieblingsgeräusch gefragt, überlegt sie einen Moment: „Schneeflocken“, sagt sie endlich, „eine leicht strukturierte Kakophonie.“
Von Rico Bigelmann für Adlershof Journal