Ein Mond wird entzaubert: Riesiger Erdgas-See auf dem Titan
Der Saturnmond Titan ist einer der geheimnisvollsten Himmelskörper des Sonnensystems. Planetenforscher des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt schauen mithilfe der Raumsonde Cassini unter seine dichte Dunstglocke. Zutage tritt ein riesiger chemischer Reaktor mit einem Erdgas-See und verzweigten Flusssystemen.
Planetenforschung kann zuweilen eine frustrierende Angelegenheit sein. Ralf Jaumann, stellvertretender Leiter des Instituts für Planetenforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), würde manchmal gerne einfach einen Hammer in die Hand nehmen und extraterrestrische Steine klopfen. "Nur eine Stunde auf dem Mars – und man würde mehr herausbekommen als ein Roboter in einem Jahr", sagt er. Doch die Feldforschung bleibt dem gelernten Geologen verwehrt. Er muss sich auf Daten verlassen, die unbemannte Raumsonden oder Landefähren von fernen Welten zur Erde funken.
Der Schleier lüftet sich
Besonders misslich sei die Lage beim Saturnmond Titan. Die Oberfläche des Trabanten ist unter einer dichten Dunstglocke aus Stickstoff, Methan und organischen Molekülen verborgen. Erst seit die von der Europäischen Weltraumorganisation Esa und der Nationalen Luft- und Raumfahrtbehörde Nasa gemeinsam betriebene Raumsonde Cassini im Juni 2004 im Saturnsystem angekommen ist, lüftet sich der Schleier langsam. Mit jedem Vorbeiflug – inzwischen waren es mehr als 60 – fügt die Sonde weitere Puzzlestückchen zum Gesamtbild hinzu. "Titan hört nicht auf, uns zu verzaubern", schwärmt Jaumann, dessen Team am DLR die Daten der Kamera VIMS (Visible and Infrared Mapping Spectrometer) auswertet. Den Forschern kommt bei ihrer Arbeit eine Eigenschaft der Titan-Atmosphäre zugute, die erst während der Mission zutage trat: Der Smog ist zwar für sichtbares Licht undurchdringlich, lässt aber einige infrarote Wellenlängen durch. "Wir können die Oberfläche also wirklich sehen, wenn auch nur sehr unscharf", sagt Jaumann. Da das Spektrometer das Licht in mehr als 300 Einzelfarben trennt, liefern die Daten erste Hinweise darauf, woraus die Oberfläche besteht. Radarmessungen von Cassini enthüllen außerdem verschiedene Landschaftsformen.
Minus 180 Grad Celsius
2008 wiesen Jaumann und Kollegen aus dem Cassini-Team beispielsweise nach, dass es auf der Oberfläche Titans einen riesigen See gibt – gefüllt mit flüssigem Erdgas. "Titan ist damit der einzige Himmelskörper des Sonnensystems außer der Erde, auf dem es Flüssigkeiten an der Oberfläche gibt", so Jaumann. Bei Temperaturen um minus 180 Grad Celsius ist Wasser dort zwar eisförmig und hart wie Stein, aber die beiden einfachsten Kohlenwasserstoffe Methan (CH4) und Ethan (C2H6) sind flüssig. Der See, den die Forscher in der Nähe des Südpols entdeckten, ist mehr als 200 Kilometer lang und ähnelt dem amerikanischen Ontario-See. Vermutlich enthält er Methan, Ethan und andere organische Substanzen. Die VIMS-Daten zeigen, dass die See-Oberfläche alles Licht mit einer Wellenlänge von mehr als fünf Mikrometern verschluckt. Das sei ein klarer Beweis dafür, dass der Inhalt flüssig ist, berichtet Ralf Jaumann.
Der Erdgas-See ist nicht das einzige Kuriosum auf Titan. Der ganze Mond ist ein riesiger chemischer Reaktor, eine Fabrik für organische Verbindungen. Gewaltige Sturzregen aus Methan, die alle paar Jahrhunderte auftreten, graben verzweigte Flusssysteme in den Boden. Um die teils mehrere Kilometer breiten Flusstäler auszuheben, müssen die Ströme so viel flüssiges Methan mit sich führen wie Wasser mit dem Rhein in die Nordsee fließt, berechnete ein Team um Jaumann. Das abgetragene Material sammelt sich in Sedimentfächern und ausgedehnten Dünengürteln am Äquator. Woraus die Dünen genau bestehen, ist aber noch unklar. Die sandkorngroßen Partikel sind wahrscheinlich teerartige, schwarze, organische Bröckchen, die das Sonnenlicht aus den Atmosphärengasen Methan und Stickstoff zusammengebraut hat.
Damit liegen auf Titan gewaltige Mengen an Energierohstoffen. "Wenn es nicht so weit wäre, könnte man fast auf den Gedanken kommen, die Vorräte auszubeuten", schmunzelt Ralf Jaumann. Das ist freilich noch utopischer als eine geologische Exkursion zum Mars.
Ute Kehse
Link: www.dlr.de/pf