Erst risikobereit, dann selbstbewusst
Ein Forscherinnenteam hat untersucht, wie sich die Persönlichkeit von Führungskräften vor und nach der Beförderung verändert
Menschen mit Führungsaufgaben weisen in der Regel charakterliche Besonderheiten auf – das zeigte sich mehrfach in Studien. Bislang nicht bekannt war jedoch, wie sich die Führungskräfte in den Jahren vor und nach ihrer Beförderung verändern. Diese Wissenslücke haben nun Eva Asselmann von der Health and Medical University in Potsdam (HMU), Jule Specht von der Humboldt-Universität zu Berlin und Elke Holst vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) geschlossen. Ihr Fazit: Bereits vor der Beförderung kommt es zu deutlichen Persönlichkeitsveränderungen.
Wie entwickelt sich die Persönlichkeit fünf Jahre vor und fünf Jahre nach dem beruflichen Aufstieg? „Wir haben dazu Daten aus dem sozioökonomischen Panel ausgewertet – einer deutschen Langzeitstudie, bei der jährlich zwischen 20.000 und 30.000 Personen zu Einkommen, Berufsstand, Persönlichkeit, Wohlbefinden und anderen Dingen befragt werden“, sagt Eva Asselmann. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin in Adlershof konzipierte sie die Studie und wertete die Daten aus, bevor sie 2021 Professorin für Differentielle und Persönlichkeitspsychologie an der HMU wurde. „Wir haben knapp 34.000 Personen, die während der Studienteilnahme nie in einer Führungsposition waren, mit rund 2.700 Personen verglichen, die im Studienzeitraum in eine Führungsposition aufgestiegen sind. Wir wollten wissen, ob es zwischen diesen beiden Gruppen Unterschiede gibt und wie sich die Persönlichkeit bei angehenden Chef:innen verändert.“
Die wichtigsten Ergebnisse? In der Tat gibt es Unterschiede – und die Persönlichkeit veränderte sich bei den zukünftigen Führungskräften schon in den Jahren vor dem Aufstieg. Unter anderem wurden sie immer offener und stärker davon überzeugt, Kontrolle über ihr eigenes Leben zu haben.“ Auch konnten die Forscherinnen einen deutlichen Anstieg von Extraversion und Risikobereitschaft nachweisen. „Wenn ich extravertiert und risikobereit bin, kann ich mich in der Regel ganz gut verkaufen und tue mich leicht damit, Teams anzuleiten und neue Wege zu gehen. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass ich Lust habe, eine Führungsposition zu übernehmen, und dass man mich als Führungskraft einstellt.“ Insbesondere Männer wurden vor dem beruflichen Aufstieg immer extravertierter. „Sozial dominant und gesprächig zu sein, wird bei Männern eher als positiv gewertet als bei Frauen“, sagt Eva Asselmann. „Daher könnte es sein, dass Frauen stärker mit anderen Dingen punkten müssen, um es in die Chefetage zu schaffen – zum Beispiel mit Fachkompetenz und Leistung.“ Unabhängig vom Geschlecht bildeten sich in den Jahren nach dem beruflichen Aufstieg fast alle Eigenschaften, die zuvor zugenommen hatten, wieder zurück. Einzig das Selbstbewusstsein nahm nach dem Sprung in die Chefetage zu.
Diese und weitere Studienergebnisse hat Eva Asselmann kürzlich auch im Sachbuch „Woran wir wachsen“ laientauglich aufbereitet. Neben Erkenntnissen zu Persönlichkeitsveränderungen rund um einschneidende Lebensereignisse liefert die Psychologin, die auch als Coach und Change-Managerin tätig ist, darin Anregungen, wie die eigene Resilienz gesteigert werden kann. Welchen Rat hat sie für Menschen, die eine Führungsrolle anstreben? „Die eigene Karriere frühzeitig strategisch zu planen: Wo möchte ich hin und was braucht es dafür?“ Erkenntnisse aus der Forschung machten insbesondere deutlich, wie wichtig es sei, berufliche Kontakte zu knüpfen. „Der Mensch muss ein bisschen über den eigenen Schatten springen und mit anderen ins Gespräch kommen. So bekomme ich ein klareres Bild von der angestrebten Position und was da erforderlich ist. Darauf kann ich dann ganz gezielt hinarbeiten“, meint die Wissenschaftlerin.
Nora Lessing für Adlershof Journal