Frau Stünzis Gespür für Frost
Die HU-Wissenschaftlerin Simone Maria Stünzi beschäftigt sich mit der Vegetation von Permafrostböden
Die Wissenschaftlerin Simone Maria Stünzi beschäftigt sich im Earth Observation Lab der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) mit der Frage, wie die Vegetation mit dem Permafrostboden interagiert und sich diese Prozesse vor dem Hintergrund des Klimawandels verändern.
Eine Zimmerpalme und zwei Kakteen zieren ihren Schreibtisch, eine immergrüne Hängepflanze steht oben auf dem Regal: Wer das Büro von Simone Maria Stünzi betritt, hat nicht den Eindruck, dass es in ihrer Forschungsarbeit um boreale Wälder in Permafrostgebieten geht. Doch das Thema hat die 31-Jährige gewissermaßen kalt erwischt.
In Zürich geboren, absolvierte sie dort Abitur und Studium. Ihren Bachelorabschluss machte sie mit dem Schwerpunkt auf Physischer Geografie und Fernerkundung, bevor sie zum Master in die Umweltwissenschaften wechselte. Zu Beginn der Masterarbeit stieß sie auf ihr heutiges Forschungsgebiet: „Ich habe angefangen, Satellitendaten aus Sibirien auszuwerten, wo es große Waldbrände gibt“, erinnert sich Stünzi. Warum brennt es so häufig in diesen kontinentalen Permafrostgebieten und welche Auswirkungen haben diese Brände?
Um mehr darüber zu erfahren, zog sie 2018 für ihre Doktorarbeit nach Berlin und forschte am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Potsdam weiter. Von der Fernerkundung ging es zur Entwicklung eines numerischen Permafrost-Vegetations-Modells. Seit August vergangenen Jahres ist Stünzi nun Postdoktorandin in Adlershof bei der Forschungsgruppe von Patrick Hostert, Professor am Earth Observation Lab der HU, mit einem selbst eingeworbenen Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Permafrostgebiete, unter anderem in Alaska, Kanada, Grönland und Sibirien, sind durch dauerhaft gefrorenen Boden geprägt. Knapp ein Viertel der kontinuierlichen Permafrostregionen ist mit Wäldern bewachsen. „Es ist wie ein Gefrierschrank, in dem das Material von Jahrtausenden nahezu unverändert im Boden bleibt“, erklärt Stünzi. Darüber befindet sich eine saisonale Auftauschicht, die wenige Zentimeter bis Meter tief sein kann. Diese Aktivschicht taut im Sommer auf und darin können Bäume wurzeln, die enorm gut an die extremen klimatischen Bedingungen angepasst sind. Zudem haben sie eine Schutzfunktion: Im Sommer beschatten und kühlen sie den Boden, im Frühling beeinflussen sie die Schneeschmelze, was zu einer leicht wärmenden Wirkung führen kann und die Wasserbilanz verändert. Vegetation und Permafrostboden bedingen sich also gegenseitig. Genau diese Interaktion ist Gegenstand der Forschungsarbeiten von Stünzi. „Bei mir steht das globale Klima und das Prozessverständnis im Vordergrund“, sagt sie. „Das Zusammenspiel zwischen den Wäldern und dem Permafrostboden wurde bisher nie richtig quantifiziert.“
Mit dem prozessbasierten Modell kann sie erforschen, was in Zukunft passiert: Wie sich das Zusammenspiel durch die Erderwärmung und geringere Niederschlagsmengen verändert, etwa wenn der Trockenstress und damit die Intensität der Brände zunimmt. Welche Auswirkungen hat das auf den Permafrostboden? „Wenn wir wissen, dass der Wald die Auftauschicht um zwei Drittel reduziert, dann hat das Einfluss auf regionale Projektionen.“ Denn wenn der dauerhaft gefrorene Boden nach Waldverlust tiefer auftaut, kann bisher gespeicherter Kohlenstoff freigesetzt werden, der wiederum die Klimaerwärmung verstärkt, wenn er in die Atmosphäre gelangt.
Ihre Methodik ist eine Kombination aus Modellierungen, Auswertung von Satellitendaten und Feldforschung mit dem übergeordneten Ziel, Klimaprojektionen zu verbessern. Während der Masterarbeit fuhr sie das erste Mal nach Jakutien, zwei weitere Forschungskampagnen folgten. Inzwischen sind Feldarbeiten in Sibirien durch den Angriffskrieg Russlands unmöglich. In den vergangenen Jahren war sie auf Grönland, um Bohrungen durchzuführen, Messstationen aufzubauen und „im Boden zu buddeln“. Stünzi mag die Verbindung unterschiedlicher Methoden. Die Satellitendaten ermöglichen ihr einen großräumigen Blick, die Modellierung hilft dabei, die Prozesse besser zu verstehen und die Inputdaten hochzuskalieren, und die Feldforschung sorgt für die nötige Validierung und Abwechslung. Ende August wird die Wissenschaftlerin ihr Büro mit den Topfpflanzen wieder verlassen und auf Forschungsreise gehen: in den Nordwesten Kanadas nach Trail Valley Creek.
Heike Gläser für Adlershof Journal