Geflügelter Besuch
Ein Hühnerprojekt begeisterte in der Kita „Am Studio“ Kinder, Eltern und Pädagoginnen
„ICE-Fressnapf heißt die Chefin der Hennen-Vierergruppe“, erklärt Kitaleiterin Ulrike Becker. Weil sie stets die Schnellste am Futterplatz sei, hätten die Kinder sie basisdemokratisch nach dem Hochgeschwindigkeitszug benannt. Außerdem gab es da noch „Hätti-Hühnchen“ und zwei weitere WG-Genossinnen, die sich vier Wochen lang in einem abgegrenzten Areal des weitläufigen Kitagartens aufhielten. Ihr vollautomatischer Stall öffnete am Morgen die Tür ins Grüne und schloss sie zur Nacht.
Erzieherin Janina Alte kam mit dem Vorschlag in die Kita, die Arbeit mit den Kindern durch die positive Wirkung von Tieren – in diesem Fall durch Hühner – zu unterstützen, und stieß damit auf offene Ohren bei Kitachefin Becker und Kollegin Sandra Kopietz. Bereits seit zehn Jahren reagiert die Kita mit Projekten wie „Was sind die Auswirkungen von Plastik auf die Weltmeere?“, „Wie können wir Müll vermeiden und recyclen?“, „Wie geht gesunde Ernährung?“ auf Umwelt- und Tierschutzthemen. So entstanden zum Beispiel ein Naschgarten mit selbstangebautem Obst und Gemüse, eine Auszeichnung zur „Waldkönner-Kita“, eine Kooperation mit der Berliner Stadtreinigung (BSR), mit der regelmäßig Müll gesammelt wird, und eine Patenschaft für eine Robbe. Becker und ihr Team sehen sich in der Pflicht, den derzeit 105 Kitakindern und damit auch deren Familien das Bewusstsein für ein nachhaltiges Leben zu vermitteln.
Schnell wurde der Kontakt zu „Hühnerhannes“ – mit bürgerlichem Namen Johannes Weiß – hergestellt, der Hühner inklusive Begleitung und Behausung für Kindergärten, Schulen oder auch Seniorenheime vermietet. Die sensiblen Fluchttiere sind besonders geeignet für die pädagogische Arbeit. Sie zeigen sehr deutlich, in welcher Umgebung sie sich wohlfühlen, wie viel Kontakt zum Menschen ihnen angenehm ist, und sind dabei wegen ihrer vielfältigen Laute, dem Scharren, Picken und Umherflattern zudem interessant zu beobachten. Nachdem die Eltern in das Vorhaben eingeweiht und auch die Finanzierung sowie die Wochenendbetreuung durch das Kitateam gesichert waren, konnten die Pädagoginnen den Kindern für Mitte April eine „Riesenüberraschung“ ankündigen.
„Der Einzug der Hennen war unheimlich aufregend für uns alle,“ erinnert sich Becker, „und die Reaktion der Kinder beeindruckend“. So hätten sie lange die Tiere einfach nur betrachtet. Von Anfang an wurden sie in die Pflege und Fütterung einbezogen. „Die Kinder haben gelernt, welchen Lebensraum Hühner benötigen, um glücklich zu sein“, erklärt Becker. Mutige ließen sich das Futter aus der Hand picken und durften die bereits kindererfahrene „ICE-Fressnapf“ streicheln. „Dieser Vertrauensbeweis ist eine bleibende Erfahrung und zeigt ihnen, wie sie sich achtsam und rücksichtsvoll verhalten.“ Thematisiert wurde auch der Kreislauf des Lebens, denn trotz aller Vorsicht mussten die Kinder vorbereitet sein, dass sich Jagdtiere, wie der Fuchs, nicht in friedlicher Absicht nähern würden. Glücklicherweise blieb den Hühnerhalter:innen auf Zeit diese Erfahrung erspart. Die Hennen schenkten der Kitagemeinschaft an jedem Tag vier Eier. „Auch das war eine Frage, mit der wir uns in diesem Zusammenhang befasst haben. Woher kommen eigentlich unsere Lebensmittel?“, sagt Erzieherin Kopietz. Die Kinder hätten zunehmend ihren eigenen Fleischkonsum hinterfragt.
Innerhalb weniger Tage wurde der „Kita-Hühnerhof“ durch zahlreiche Sitzgelegenheiten in respektvollem Abstand zur „Chill-out-Zone“, in die sich die Kinder eigenständig auch in Stress- oder Konfliktsituationen zurückzogen und schneller zur Ruhe kamen. „Ein auf so vielen Ebenen gelungenes Projekt“, fasst das Kita-Team zusammen und kann sich unbedingt vorstellen, noch einmal geflügelten Besuch zu empfangen.
Peggy Mory für Adlershof Journal