Geist, Trotzkopf, Lebenselixier. Eine kleine Lichtzeitreise
Essay von Jürgen Teichmann, Professor für Geschichte der Naturwissenschaften
Noch 1819 warnte eine Zeitungsnachricht: Jede Straßenbeleuchtung sei verwerflich! Aus theologischen, juristischen, medizinischen, philosophisch-moralischen und natürlich auch polizeilichen Gründen: Sie mache die Pferde scheu und die Diebe kühn. Wir würden das heute umgekehrt sehen. Licht klärt auf, Dunkelheit versteckt. Gerade dann werden Diebe innovativ. Vielleicht aber auch Wissenschaftler.
Was Licht ist, war jahrtausendelang umstritten. Griechische Philosophen, Mathematiker und Astronomen wie Pythagoras, Euklid und Ptolemaios glaubten an Sehstrahlen, die vom Auge ausgingen und alles sichtbar machten. Nur helle Dinge allerdings, etwa von Sonnenlicht beleuchtet, konnten diese Sehstrahlen festhalten. Sonnenlicht leuchtete nicht nur, sondern wärmte auch sehr gut. Nun ja, vieles wurde mit Staunen hingenommen.
Der große islamische Wissenschaftler Ibn al Haitham – für mich der bedeutendste Physiker des Mittelalters – untersuchte Lichtstrahlen, Lichtbrechung, Reflexion und Lichtstreuung als erster genauer. Er presste Licht in dunkle Kammern und erfand so nebenbei den ersten Projektionsapparat, die „camera obscura“, eine dunkle Kammer eben.
Solche dunklen Räume, perforiert durch Licht, nutzte auch der große Isaac Newton. Er ärgerte sich über Farbsäume, die alle Dinge zeigten, wenn man sie in Linsenfernrohren beobachtete. So nahm er sich dieses doch seltsame Sonnenlicht vor. Es sollte übrigens, nach antiker Auffassung, viel reiner sein als alles irdische Licht. Was war dann aber der Bononische Stein, der Sonnenlicht einsog und Minuten lang magisch nachleuchtete? Er war so zu Zeiten Galileis entdeckt worden. Und was geschah mit Licht in Glas oder funkelnden Edelsteinen? Rätsel über Rätsel.
Newton nahm ein Glasstück, ein Prisma, und zerlegte weißes Sonnenlicht in ein „Spektrum“, Geistererscheinung heißt das – von violett bis rot. Er erzeugte so neben Teilchentheorien von Lichtmaterie und heftigen Diskussionen zwischen Wissenschaftlern und Malern über Farbtheorien auch das Missfallen unseres großen Nationaldichters Goethe: Wie konnte man Licht, dieses wundervolle Agens der Natur, durch kleinste Lochblenden pressen, in Glasprismen hineinzwängen und dann behaupten, das sei letzte Wahrheit? Erst nach Goethe trennten sich die Wege von Farbpsychologie, Sinnesphysiologie und physikalischer Optik. Ob immer zum Nutzen der Erkenntnis, bleibe dahingestellt. Zum Nutzen der meisten Lichttechnik sicher – siehe Fernsehen, Laser, Glasfasertechnik.
Romantische, später impressionistische Maler entdeckten die Farben und die Landschaft neu. Ein optischer Ingenieur, Joseph Fraunhofer, fand auch etwas neues, eine neue Himmelslandschaft – in Newtons Farbspektrum, mit den bald Tausenden von Absorptionslinien der Sternspektren: physikalisch-chemische Strichcodes des Kosmos. Licht war nun Welle und rollte von allen Seiten, Gaslaternen, Glühlampen, auf die Zivilisation los. Es war sogar elektromagnetische Welle, wie die Wärmestrahlung, das Ultraviolett, wie bald Radiostrahlung, gefährliche und doch auch hilfreiche Röntgenstrahlung und noch gefährlichere Gammastrahlung.
Das 20. Jahrhundert fing eigentlich an, alles zu verdrehen. Es gab also nicht sichtbares Licht. Licht war außerdem keine Welle mehr, sondern Quantenwesen – ein Quantensprung, den die neue Atomphysik wagte. Doch Licht wehrte sich dagegen und blieb, ein Trotzkopf, so nebenbei auch Welle. Und obwohl es solch winziges Territorium einnimmt im riesigen Reich des elektromagnetischen Spektrums von Kilometern bis unter Milliardstel Millimeter, es ist für unseren Alltag weiter Lebenselixier. Und für Ingenieure und Wissenschaftler weiterhin technische Herausforderung, originelles wissenschaftliches Instrument und mikrophysikalisches und biochemisches Forschungsfeld.
Jürgen Teichmann ist Professor für Geschichte der Naturwissenschaften an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität und war bis 2006 Direktor am Deutschen Museum. Er ist Autor historischer und fachphysikalischer Sachbücher wie z. B. „Mit Einstein im Fahrstuhl“. Im Druck ist „Der Geheimcode der Sterne – Von Fraunhofer bis Hubble“.