Goldwäsche in Adlershof
Ein ganz normaler Tag eines Wissenschaftsmanagers
Die Fahrt ins Büro unterbreche ich in einer Adlershofer Einfamilienhausgegend für einen kurzen Spaziergang. Frische Morgenluft und Blütenpracht in den Gärten regen auch zum geistigen Flanieren an. Nicht weit von hier befindet sich einer der größten Hightech-Standorte Europas. Was mag wohl die Bürger im Kiez an innovativer Technik interessieren? Was erwarten sie? Freuen sie sich auf irgendetwas grundsätzlich Neues? Eine gewisse Vorstellung habe ich von ihrem Interesse. Ich bin schließlich einer von ihnen. Der autonome PKW. Das E-Mobil. Tolle Themen zum Diskutieren. Sie faszinieren und fordern zu wohlfeilem Widerspruch heraus. Eine Nummer kleiner: Fahrerassistenzsysteme. Von „brauch ich nicht“ bis zum „nicht mehr wegzudenken“ war es nur ein Katzensprung. Und nun wird immer noch mehr erwartet. Etwas weiter weg vom Alltag des Normalbürgers: die Drohne. Mal wird sie lächerlich gemacht, mal äußert man Ängste.
Ich bin zurück bei meinem Diesel aus der Zeit vor dem großen Wertewandel bei PKW. Weiter geht es zur Arbeit. Beim Einparken stelle ich fest, dass auch heute wieder niemand mit einem Elektrofahrzeug gekommen ist. Auf dem Großdisplay im Vestibül wird eine Gutachtergruppe willkommen geheißen. Zweischneidiges Wissenschaftsmanagement: Erst werden Fachleute zur Ausarbeitung detaillierter Beschreibungen von Forschungsprojekten motiviert und dann die Kritiker ins Haus geholt. Wenn beide aufeinanderstoßen, rumpelt es. Es erinnert an Goldwäsche im Wilden Westen: Gutes bleibt und wird weitergereicht.
Beim Gang zur Cafeteria höre ich einen Hubschrauber. Ich würdige ihn keines Blickes. Ein unmanned aerial vehicle (UAV) hingegen würde auf mich bedrohlich wirken. Aber ich habe in Adlershof noch nie ein UAV in Aktion gesehen.
Ich muss bei einem Adlershofer Unternehmen etwas erledigen und entscheide mich, nach dem Mittagsimbiss unangemeldet vorbeizugehen. Als ich aus dem Aufzug trete, kommt mir ein Robocarrier entgegen, hält aber Abstand. Ich schaue nach dem „Herrchen“. Niemand da. Das Unternehmen kann sich seiner autonomen Systeme offenbar sicher sein. Weitgehend im Verborgenen wächst hier Technik heran, deren Weiterentwicklung über Intralogistik hinaus vielleicht auch einmal für Bürger nutzbar oder wenigstens sichtbar wird. Dazu sollten Wissenschaftler, Manager, Techniker unterschiedlicher Fachdisziplinen kooperieren. Was könnten Gespräche zwischen Entwicklern fahrerloser Transportsysteme z. B. für Lagerhallen und solchen, die sich für Mobilität von Menschen mit Behinderungen engagieren, für Innovationen initiieren? Oder: Welche Anwendungspotenziale ließen sich erschließen, wenn man das Thema autonome mobile Technik von der Erde auch in den Himmel bringt? Weniger Fernsteuerung und mehr Selbstbestimmung von zivilen Drohnen, Kooperation mit Fahrzeugen am Boden. Alles Diskussionsgegenstände, die von Anfang an im internationalen Rahmen zu sehen sind.
Aber auch lokale Beziehungen sollten forciert werden. Bürger interessieren sich u. a. für kleine, erschwingliche Dinge. Warum kann man auf dem Hightech-Campus so wenig schmökern und kaufen? Es fehlt ein Innovationsshop!
Auf der Fahrt nach Hause komme ich wieder durch Gärten. Was war das denn? Ein Mähroboter und viele kleine Automaten am Boden und in der Luft. Einige schwirren vor Blüten. Sind Bienen wirklich schon durch Technik zu ersetzen? Ich wende und fahre zurück. Ein Mähroboter zieht ruhig und nicht besonders intelligent seine Bahnen. Alles andere war wohl Halluzination.
Alfred Iwainsky, Physikprofessor und Informatiker, ist Adlershofer Urgestein. Als Schüler besuchte er die Mathematik-Spezialklasse der Heinrich-Hertz-Oberschule in der Peter-Kast-Straße, sah im Bunsensaal zum ersten Mal in seinem Leben einen Nobelpreisträger (Gustav Hertz), hat in Adlershof im Bereich der Kosmosforschung gearbeitet, war 27 Jahre Vorstandsvorsitzender der Gesellschaft zur Förderung angewandter Informatik (GFaI) am Standort und will demnächst mit seinem fünften ZIM-Netzwerkprojekt beginnen.