Gründen mit Sinn für das große Ganze
Yasmin Olteanu, Professorin für Betriebswirtschaft und Entrepreneurship spricht über Motivation, Herausforderungen von grünen Start-ups und deren Einfluss auf die Energiewende in Deutschland
Welche Rolle können grüne Start-ups bei der Transformation hin zur klimaneutralen, faireren Gesellschaft spielen? Wie wird ihr Einfluss messbar? – Solchen Fragen geht Yasmin Olteanu nicht nur in ihrer Professur für Betriebswirtschaft und Entrepreneurship an der Berliner Hochschule für Technik (BHT) auf den Grund. Sondern sie hat dafür mit Gleichgesinnten auch den `Green Startup Monitor´ entwickelt, der grüne Start-ups, ihr Ökosystem, ihre spezifischen Herausforderungen sowie ihre Erwartungen an die Politik regelmäßig wissenschaftlich untersucht.
Frau Prof. Olteanu, warum sind Start-ups für die Energiewende und für andere gesellschaftliche Nachhaltigkeitsprojekte wichtig?
„Green Start-ups“ unterscheiden sich in einem wichtigen Punkt grundsätzlich von herkömmlichen Unternehmen: Sie tragen das Ziel, nachhaltig wirksam zu werden, in ihrer DNA. In den meisten Fällen ist das die zentrale Motivation der Teams. Sie haben den Anspruch, neben dem rein wirtschaftlichen Erfolg auch gesellschaftlich und ökologisch nachhaltig zu handeln. Dieser Anspruch ist bei ihnen nicht aufgesetzt, sondern fester Bestandteil ihres Geschäftsmodells. Wir haben es also mit Akteurinnen und Akteuren zu tun, die Nachhaltigkeitsziele strategisch priorisieren und dabei mit Nachdruck vorgehen. Außerdem sind Start-ups für die anstehenden Transformationsprozesse so wichtig, weil sie radikale, oft disruptive Innovationen auf den Markt bringen. Traditionelle Unternehmen arbeiten eher mit Verbesserungsinnovationen. Dagegen setzen Start-ups die großen Hebel an, mit denen sie traditionelle, nicht nachhaltige Lösungsansätze durchbrechen und so die gesellschaftliche und ökologische Transformation beschleunigen.
Wozu ist es wichtig, die Welt der grünen Start-ups mit Projekten wie dem `Green Startup Monitor´ mess- und vergleichbar zu machen?
Der Green Startup Monitor ist gerade zum sechsten Mal erschienen. Als wir ihn am Berliner Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit gGmbH konzipiert haben, wussten wir so gut wie gar nichts über die Merkmale, die Motivationen und Herausforderungen grüner Start-ups im Deutschland. Das wollten wir ändern und haben die – damals wie heute – größte quantitative Studie zum Thema entwickelt und umgesetzt. Dafür haben wir mit unseren Fragen an den Befragungen des Deutschen Startup Monitors angedockt, den der Bundesverband Deutsche Start-ups regelmäßig veröffentlicht. Unser Ziel ist es, der Politik sowie dem Finanzierungs- und Unterstützungsökosystem fundierte Informationen über Green Start-ups an die Hand zu geben. Wer sind sie, welche Gründenden stehen dahinter, was zeichnet sie aus und wie steht es um ihre Rahmenbedingungen? Um das herauszufinden, befragen wir rund 1.300 Teams pro Ausgabe – und schaffen so einen aktuellen Überblick.
Und wie steht es um die Randbedingungen für grüne Gründungen?
Bisher nahm der Anteil grüner Start-ups an allen Gründungen stetig zu. Zwischenzeitlich haben 35 Prozent unsere Kriterien erfüllt: besagte DNA und strategische Ausrichtung war fest in ihren Managementvorgaben verankert. Diese Priorisierung ist im aktuellen Monitor erstmals rückläufig und nur noch bei 29 Prozent der Teams gegeben. Besonders beim Kriterium „Priorisierung der Nachhaltigkeitswirkung in der Unternehmensstrategie“ ist der Rückgang von knapp 80 auf 66 Prozent deutlich. Das dürfte auf das schwierige Markt- und Wettbewerbsumfeld infolge der multiplen Krisen zurückzuführen sein.
Inwiefern?
Viele etablierte Unternehmen schieben aktuell Investitionen auf und setzen Kostensenkungsprogramme um. Das erschwert es Start-ups, Kundenprojekte zu gewinnen. Auch Investierende sind zurückhaltender und es gibt weniger Neueinstellungen. Darunter leiden alle Start-ups inklusive der grünen. Diese sind aber oft hardware-lastig und deshalb kapitalintensiver. Daher kommt die Konjunkturabkühlung schneller bei ihnen an.
Lässt sich der Einfluss grüner Gründungen quantifizieren?
Die Wirkungen sind angesichts des breiten Spektrums an Lösungen, welche die Start-ups in unterschiedlichste Märkte und Branchen einführen, tatsächlich sehr heterogen. Sie auf der Ebene einer Studie fundiert zu erfassen, ist sehr kompliziert. Aber die Start-ups selbst messen ihre Wirksamkeit und kennen sie daher immer besser. Sie betreiben ein Wirkungsmanagement und bekommen dafür externe Anregungen; darunter gezielte Trainings der Plattform für soziale Innovationen oder entsprechende Handbücher vom Borderstep Institut. Es gibt aber einen Aspekt, der ihren Einfluss indirekt ausdrückt: 56 Prozent der grünen Start-ups streben schnelles Wachstum und hohe Marktanteile an. Sie verfolgen also das klare unternehmerische Ziel, ihre Nachhaltigkeitslösungen schnell in die Märkte zu transferieren und damit bei ihrer Kundschaft Multiplikatoreffekte zu erzielen. Es gibt viele Vorurteile über grüne Start-ups. Tatsächlich belegt der Green Startup Monitor seit sechs Ausgaben, dass hier professionelle Teams mit ernstzunehmenden Geschäftsmodellen antreten, die aber zusätzlich zum rein wirtschaftlichen Erfolg eine zusätzliche Rendite für die Gesellschaft und die Umwelt erwirtschaften wollen.
Ist es erklärbar, dass in dem Teams mehr Frauen an der Spitze stehen?
Diverse Studien zeigen, dass Gründerinnen mehr auf die gesellschaftliche und ökologische Wirkung ihres Handelns achten und öfter an der Gründung grüner Start-ups beteiligt sind. Das setzt sich im Top-Management der Unternehmen fort. Hier liegt der Frauenanteil bei 30 Prozent. Nachhaltigkeit und Diversität werden nicht nur nach außen, sondern auch nach innen gelebt.
Interessant auch, dass grüne Start-ups so stark in den Wissenstransfer aus Hochschulen in etablierte Unternehmen involviert sind.
Sie kooperieren signifikant häufiger mit wissenschaftlichen Einrichtungen als nicht-grüne Start-ups und tragen wissenschaftliche Erkenntnisse gezielt in die Märkte, um sie in etablierten Unternehmen schnell zur Anwendung zu bringen. Hier machen sich die eingangs erwähnte hohe Motivation und der strategische Nachdruck bemerkbar. Viele ihrer Lösungen sind technologiegetrieben. Auch unter diesem Aspekt macht die Nähe zu Forschungsinstituten Sinn, zumal die Teams über Programme wie EXIST in der Gründungsphase Zugang zu Labors und anderen Infrastrukturen der Institute behalten.
Bilden Sie im Zuge ihrer BHT-Professur Gründerinnen und Gründer aus – oder liegt Ihr Schwerpunkt eher auf der Theorie?
Die BHT trägt neben der Technik auch die angewandten Wissenschaften im Namen. Auch ich lege meine Lehre so anwendungsnah wie möglich aus. Mir geht es hierbei darum, dass unsere Studierenden in einem sicheren Rahmen ihr eigenes `Entrepreneurial Mindset´ ausbilden können. Auch wenn sie nicht gründen, wird sie diese Geisteshaltung in ihrem Berufsleben weiterbringen. Es geht um einen Rahmen, in dem sie ausprobieren und scheitern können, Ideen und Unfertiges formulieren, Prototypen entwickeln und den Umgang mit Kritik daran einüben können. Immer mehr Unternehmen setzen auf agile Prozesse – in denen genau diese Kompetenzen gefragt sind. Und das gilt erst recht für die Startup-Welt.
Sie waren selbst an Gründungen beteiligt. Haben sich die Einstellungen und Methoden heutiger Teams im Vergleich zu ihrer Praxis verändert?
In meinen Lehrveranstaltungen schreiben wir keine Businesspläne mehr, die früher obligatorisch waren. Es geht heute darum, die Werkzeugkiste zu füllen, die für Gründungen wichtigen Tools zu erproben und den Umgang damit zu lernen. Wie stelle ich eine Geschäftsidee vom Kopf auf die Beine, wie teste und validiere ich sie und wie muss ich mit meiner Zielgruppe kommunizieren und interagieren, um ihre Problemstellungen zu verstehen – und um aus einer ursprünglich rohen Idee schnell und effizient eine marktreife kundengerechte Lösung zu entwickeln? Zum Besseren hat sich auch die Wahrnehmung von Green Start-ups verändert. Während wir seinerzeit schnell unter das Label der „naiven Weltverbesserer“ gerieten, werden die Gründenden von heute ernster genommen. Zumal ihre Zahl erfreulicherweise so sehr zunimmt. Es wächst eine Generation von Gründenden heran, die fest davon überzeugt sind, dass sie durch ihr unternehmerisches Handeln zur Lösung der großen Probleme unserer Zeit beitragen – und einen positiven Fußabdruck hinterlassen können. Es ist eine große Bewegung, die nicht nur davon überzeugt ist, dass wir das schaffen, sondern die die Ärmel hochkrempelt und handelt.
Zur Person:
Als Professorin für Betriebswirtschaftslehre und Entrepreneurship der Berliner Hochschule für Technik (BHT) legt Prof. Yasmin Olteanu ihren Forschungsschwerpunkt auf nachhaltiges Unternehmertum und Impact Entrepreneurship. Sie war federführend an der Entwicklung des vom Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit gGmbH und dem Bundesverband Deutsche Start-ups herausgegebenen Green Startup Monitors beteiligt. Vor ihrer akademischen Karriere war Olteanu selbst ab Gründungen sowie am Management und der Investition in grüne und wirkungsorientierte Start-ups beteiligt.