Heimliche Helden und ihre Vorbilder
Ein Schüler, eine junge Werkstattmeisterin und eine pensionierte Professorin erzählen, worauf es ankommt
Was treibt junge Menschen an? Warum sind Vorbilder so wichtig zur Nachwuchsförderung? Und wie wird der Nachwuchs selbst zum Vorbild? Ein Schüler, eine junge Werkstattmeisterin und eine pensionierte Professorin machen deutlich, worauf es ankommt.
Vorbilder? Schwere Frage. Doch Julian Pilzer hat eine klare Vorstellung davon, was er vorbildlich, zumindest aber erstrebenswert findet: „Gut ist, wenn Menschen eine Passion haben, diese ausleben, für etwas brennen – das inspiriert mich“, sagt der 18-Jährige. Fast entschuldigend schiebt er nach: „Bei mir wechselt das leider immer.“ Was kein Fehler ist. Denn es gibt kaum etwas, was den Abiturienten aus Friedrichshagen nicht interessiert. Das zeigt schon die fachliche Spreizung seiner Leistungskurse: Musik und Physik. Seine Hobbys, ein weites Feld: von Klavierspielen über Fußball, Kraftsport und Volleyball bis zu technischen Tüfteleien.
So kommt es, dass er sich genauso für Ameisen wie für die Energiewende begeistern kann. Beides Gegenstand seiner Projekte für Jugend forscht, Deutschlands bekanntesten naturwissenschaftlichen Nachwuchswettbewerb. Zusammen mit seinem Freund Elias Freyhof hat Pilzer im vergangenen Jahr einen Bestimmungsschlüssel im Internet entwickelt, mit dem Laien 40 in Berlin lebende Ameisenarten zuordnen können. „Ameisen spielen wie alle Insekten eine große Rolle für unsere Ökosysteme, sind selbst aber nur schlecht erforscht“, erklärt Pilzer. „Unser Projekt soll langfristig dazu beitragen, Veränderungen der Biodiversität in Berlin nachvollziehen zu können, die größtenteils dem Klimawandel geschuldet sein dürften.“
Damit ist ein weiteres Thema markiert, das den Jungforscher umtreibt: Umwelt und Nachhaltigkeit. Warum nicht einen Beitrag zur Energiewende mit einem weiteren Jugend-forscht- Projekt leisten? Pilzer und zwei Mitschüler entwickeln momentan einen Online-Rechner, mit dem Kommunen ermitteln können, wie sie ihren Energiebedarf vollständig mit Erneuerbaren decken und diese am besten zwischenspeichern können. In die Berechnung fließen neben Energieverbräuchen unter anderem die geografische Lage, klimatische Bedingungen und die Effizienz verschiedener Speichertechnologien ein. Spannend klingt das. Mit dem einzigartigen Ameisen-Bestimmungsschlüssel belegte Pilzer im vergangenen Jahr den 1. Platz beim Jugend-forscht-Regionalwettbewerb Berlin Süd im Technologiepark Adlershof, errang den Landessieg im Bereich Biologie sowie den Sonderpreis Biodiversität und Naturschutz vom Naturschutzbund Deutschland (NABU).
Nach dem Abitur wird er einen Weg einschlagen, auf dem er Umwelt und nachhaltiges Wirtschaften vereinen und, wie er sagt, „Gutes tun kann“. Denn das ist es, was Vorbilder tun sollten.
Ähnlich sieht das auch Michelle Schulz: „Vorbildlich sind nicht nur Eigenschaften, die ich mit meinem Beruf verbinde“, sagt sie. „Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit sind Eigenschaften, die nicht nur gute Mechaniker:innen auszeichnen, sondern auch Freunde, auf die man sich verlassen kann.“ Schulz ist gelernte Industriemechanikerin und gehört seit fast fünf Jahren zum Werkstattteam des EntwicklungsZentrums der Ferdinand-Braun-Institut gGmbH, Leibniz-Institut für Höchstfrequenztechnik (FBH). Dort werden individuelle Werkstücke, von der Messhalterung bis zum Prototyp, gefertigt.
Präzision wurde der Feingerätebauerin mit Meisterbrief gewissermaßen in die Wiege gelegt: „Schon früh zeigte mir mein Vater, der selbst Feingerätebau gelernt hat, die Welt der Mechanik, weshalb für mich schnell feststand, später selber einmal ein Handwerk zu erlernen.“ Ihr Vater sei für den Beruf ein gutes Vorbild: „Er beeindruckte mich schon damals mit seinem Wissen über Werkstoffe und handwerklichem Geschick. Genauso wie mit seiner Geduld und seinem Talent, mir alles zu erklären.“ Die junge Frau sieht gern, wie aus einer Idee etwas Greifbares entsteht: „Das präzise und funktionelle Arbeiten hat mich schon immer sehr fasziniert.“
Nach einem Arbeitstag mit Maschinen sucht Schulz einen Ausgleich in der Natur, am liebsten auf dem Rücken ihres Pferdes. Ihr Rat an junge Menschen ist: „Egal, was ihr in eurem Leben vorhabt oder machen möchtet: Tut es einfach! Und seid mit Leidenschaft dabei.“ Egal, wie steinig der Weg einem erscheinen mag, sei es eine Erfüllung, diesen hinter sich zu lassen und sich nicht nur einem Beruf hinzugeben, sondern einer Berufung.
Irene Nehls hat beizeiten ihre Berufung gefunden. Eine engagierte Lehrerin in der Schule konnte sie für Chemie begeistern. Später promovierte Nehls in dem Fach, baute an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) den Bereich der organischen Referenzmaterialien auf, führte dort viele wichtige Analysen durch und wurde im vergangenen Jahr mit der Clemens-Winkler-Medaille der Gesellschaft Deutscher Chemiker für ihre Verdienste um die Entwicklung der Analytischen Chemie sowie für ihr Lebenswerk ausgezeichnet.
Nun ist die 70-Jährige im (Un-)Ruhestand, engagiert sich als Naturtrainerin des NABU an Schulen. Die Lehre und der Austausch mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs treiben sie seit jeher an: „Schon während meiner Promotionsphase an der Universität war ich als Assistentin tätig und hatte die Aufgabe, in Seminaren und Praktika die Inhalte der Vorlesung ‚Analytische Chemie‘ zu vertiefen“, erzählt Nehls. „Es war der Sprung ins kalte Wasser in Sachen Hochschulpädagogik.“ Eine Herausforderung, die bei ihr die Leidenschaft für die Lehre, die Weitergabe von Wissen weckte.
Umso schöner, wenn Nehls interessierte Studierende fördern, diese sogar zu einer Promotion animieren konnte: „Eine besondere Freude war es immer, wenn diese jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach der Promotion erfolgreich ihre ersten Arbeitsverträge unterzeichneten.“ Warum also im Ruhestand auf diese schöne und nützliche Erfahrung verzichten? Die pensionierte Professorin widmet sich heute der Umweltbildung von Schülerinnen und Schülern. „Alle reden über Nachhaltigkeit. Dabei gibt es wohl nichts Nachhaltigeres, als Kindern die Natur und Umwelt näherzubringen“, sagt Nehls. Auch wenn sie das bestimmt so nicht sagen würde: Die Wissenschaftlerin dürfte dem Nachwuchs als Vorbild erscheinen. Ratschläge gibt sie ungern. Nur so viel: „Wenn man offen und neugierig bleibt, dann kann gar nichts schiefgehen.“
Chris Löwer für Adlershof Journal