Heldenreisen in virtuellen Welten
Adlershofer Start-up You-VR entwickelt Vonderland-Dreamdecks für interaktive Abenteuer
In der Berliner Sophienstraße, genau in der Mitte der Stadt, steht das Tor zu einer anderen Welt. Zu unendlich vielen anderen Welten, um präzise zu sein. Ein Edelstahlrahmen, mannshoch auf Sperrholzpodest, ein Ventilator davor und ein Duftgenerator an der Wand. Doch was so spartanisch aussieht, wird im Handumdrehen eine Südseeinsel, Alices Wunderland oder der Lieblingsfilm des Besuchers. Virtuelle Welten, die man riechen, fühlen, hören, tasten kann. In Adlershof grübeln Cyril Tuschi und Hubert Hoffmann von You-VR an immer neuen Storywelten und der dazu notwendigen Soft- und Hardware.
Als der Internet-Konzern Facebook 2014 die Firma Oculus Rift kaufte, die eine VR-Brille mit besonders großem Sichtfeld und besonders schnellen Bewegungssensoren entwickelt hatte, begründete Mark Zuckerberg das mit der Aussage, VR – Virtual Reality – sei die sozialste aller Plattformen. Dennoch, moniert die Branchenwebseite VR-Focus, blieben die meisten heutigen Social-Virtual-Reality-Angebote noch immer eine ziemlich einsame Erfahrung. „90 Prozent der Leute, die VR erleben, erleben sie allein“, erklärt Tuschi. Social VR bedeutet aber gemeinsames Erleben. Eine Menge Geld sei nach der Facebook-Investition damals in VR geflossen, erinnert er sich. Allerdings nur in die Technik – die Brillen. Das geflügelte Wort vom „König Content“ (Inhalt) war noch nicht geprägt. Aber Geschichten im virtuellen Raum müsse man nun einmal anders erzählen, sie müssen eine „eigene Grammatik des Erzählers entwickeln“.
Cyril Tuschi ist ein Erzähler. Farbenfroh, lebhaft, begeistert. Erst als Dramaturg am Theater, später beim Film. Regisseur sei er „wider besseren Wissens“ geworden – „eine brotlose Kunst, besonders der Dokumentarfilm.“ Sein bekanntester ist wohl „Der Fall Chodorkowski“ über den in Ungnade gefallenen russischen Ölmagnaten, der auf der Berlinale 2011 seine Weltpremiere feierte und davor unter seltsamen Umständen zweimal kurz vor Fertigstellung verschwand. Eine unruhige Zeit.
Die Verlockungen der virtuellen Realität, das gibt auch Cyril Tuschi zu, verstehe man nur, wenn man einmal eingetaucht ist. „Man muss drin sein, es probieren, sonst versteht man die Faszination nicht.“ Er selbst habe nach dem ersten VR-Erlebnis „vor Freude gezittert wie ein Kind. Es ist toll, wenn sich die virtuelle Welt über die reale legt, eine starke Erfahrung.“
Tuschis eigene Initialzündung kam mit einem Aufenthalt am Goethe-Institut in Hongkong. „Die sind viel weiter als wir“, erinnert er sich. Auf einer anschließenden Chinareise habe er „viel gesehen“. „Alles, was ich in der Phantasie toll fand, scheint heute technisch möglich.“ Seit drei Jahren arbeiten Tuschi und sein Kompagnon nun an ihrer Idee, erst in Babelsberg, seit kurzem in Adlershof. „Hier sind die Synergien, ein richtiger VR-Hub“, sagt Tuschi.
Mit seiner Firma You-VR konzentriert sich Tuschis Team auf die Entwicklung von sogenannten Multi-Player-VR-Systemen, die entweder im Geschäft oder für die Unterhaltung eingesetzt werden können. Unter dem Label Vonderland entwickelt das Unternehmen eigene multisensorische und Multi-Player-VR-Maschinen und -Inhalte.
In den Vonderland-Dreamdecks folgen Sensoren den Augen- und Handbewegungen des Nutzers, ein Duftgenerator erzeugt die Gerüche, Wind und Temperatur werden entsprechend der Geschichte reguliert, hydraulische Böden und bewegliche Wände schwanken, knarren oder beben, wann immer erforderlich. „Vonderland wird die besten Film- und Games-Inhalte mit VR- und Augmented Reality-Storywelten über alle Medienplattformen hinweg verschmelzen und Filme und Animationen zu interaktiven Abenteuern für die ganze Familie übersetzen“, sagt Tuschi. Ein gemeinsames Erlebnis mit Freunden, „eine Heldenreise wie im Herr der Ringe. Freunde, die gemeinsam Aufgaben lösen. Das hat viel mit Reisen oder Expedition zu tun.“
Als eine Art Heldenreise empfindet Tuschi auch die eigene Entwicklung vom Erzähler und Regisseur zum Unternehmer. „Investoren brauchen Auskünfte zum Return of Investment oder Proof of Concept, da weht ein harter Wind. Das ist spannend, aber es geht alles nicht so schnell wie gedacht.“
Von Rico Bigelmann für Adlershof Journal