Interview mit Prof. Dr. Stefan Jähnichen, Leiter Fraunhofer FIRST und Präsident der Gesellschaft für Informatik
Adlershof Special: Als strategische Technologien für 2011 nennt die amerikanische Marktforschungsfirma Gartner 1) Cloud Computing, 2) mobile Applikationen und Media Tablets und 3) Soziale Netzwerke. Was sind Ihre Top 3?
Jähnichen: Da es hier um die Zukunft der Informatik gehen soll, sind Cloud Computing und soziale Netzwerke für mich fast schon eher „alte“ Themen. Meine Top 3: Embedded Systems, Multi- und Many-Core-Architekturen sowie Sensornetzwerke.
Wie unterscheidet Cloud- sich vom Grid-Computing – das galt schon Ende des Milleniums als populär?
Kein großer Unterschied. Das Prinzip ist nach wie vor, lokal nicht verfügbare Ressourcen über das Netz zu nutzen. Nur geht es nicht mehr nur um Rechenpower, sondern auch um Spezialanwendungen. Wichtig beim Aufbau von Cloud-Systemen ist die Sicherheit.
Ersetzen Tablets und „allgegenwärtige“ Geräte wirklich den PC? Manchmal sind sie doch – etwa am Schreibtisch- Arbeitsplatz – sogar unpraktisch?
Stimmt, aber als Nutzer hat man nach wie vor die Wahl. Ich finde es schon sinnvoll, wenn ich unterwegs E-Mails auf dem Smartphone oder gar auf dem iPad lesen und gegebenenfalls auch kurz beantworten kann. Am Schreibtisch im Institut benutze ich natürlich lieber einen PC oder Laptop.
Fehlt es nicht noch an Konzepten, die schöne neue Hardware produktiver zu nutzen? Hinkt die Softwaretechnik gar diesem theoretischen Potenzial hinterher?
Meiner Meinung nach sollte man immer vom Nutzer her denken. Informationstechnologie sollte den Menschen unterstützen. Wenn kein Bedarf vorhanden ist und kein Problem gelöst werden soll, nützen einem auch die beste Hard- und Software wenig. Insofern kann ich mit einem „theoretischen Potenzial“ wenig anfangen.
Beispiel Benutzerschnittstelle: Mit der Hardware- Tastatur meines alten Smartphones war ich schneller als mit der virtuellen des neuen. Noch weniger Haptik bietet in die Kleidung integrierte Bedienung. Spracherkennung nervt spätestens, wenn andere mithören. Eigentlich möchten wir doch den Computer per Gedanken steuern, oder?
Nein. Ich hätte schon gern eine Eingabemöglichkeit, die ich bewusst ansteuern kann. Nur sollte diese so intuitiv wie möglich sein, zum Beispiel über funktionierende Spracheingabe oder Gestenerkennung. Hier gibt es sicher noch viel Verbesserungspotenzial. Gedankensteuerung ist für mich eine Ultima Ratio, etwa bei Schwerstbehinderten. Im alltäglichen Gebrauch – wie beim Autofahren – möchte ich sie eigentlich nicht haben. Es wirft auch rechtliche Fragen auf. Daher hat man von derartigen Konzepten wieder Abstand genommen.
User bräuchten einfache Lösungen um Zusatzfunktionen zu programmieren und wiederkehrende zu automatisieren. Selbst simpelste Skriptsprachen werden bisher nicht akzeptiert, zumal sie nicht universell sind.
Ja, das ist sicher richtig und in der Forschung auch ein großes Thema. Bei FIRST arbeiten wir an der „modellbasierten Softwareentwicklung“: Aus einem Modell kann man Software automatisch generieren. Seine Erstellung findet auf höherer Abstraktionsebene statt als die Programmierung und ist leichter zu verstehen. Ich kann das Modell natürlich auch einfacher ändern als fertigen Programm- Code und so Funktionen ergänzen.
Soziale Netzwerke sehen bisher eher nach Freizeitgestaltung aus. Was macht sie zur „strategischen Technologie“?
Ich finde, sie machen immer dann Sinn, wenn Menschen sich zu einem Thema, einem speziellen Ziel vernetzen wollen. Wir nutzen sie, um Jugendliche, die wir über übliche Kanäle nicht erreichen, zu Veranstaltungen einzuladen und zu informieren. Die drängendere Frage ist für mich, wie man gerade sie dafür sensibilisiert, nicht zu viele persönliche Informationen ins Netz zu stellen.
Bisher gelten die USA als Heimat cooler Computertechnik. Deutschland ist stark im Maschinenbau. Eröffnet beider Schnittmenge hierzulande neue Chancen?
Auf jeden Fall! Insbesondere Embedded Computing ist hier die natürliche Verbindung, eingebettete Systeme steuern eine Vielzahl von Anwendungen etwa in der Automatisierungstechnik, Luft- und Raumfahrt, Bahn-, Automobil- oder Medizintechnik. In diesen Branchen ist Deutschland technologisch nach wie vor führend. Ihr Innovationspotenzial liegt allerdings zu großen Teilen in der Informationstechnologie. Eingebettete Systeme sorgen für einen erheblichen Mehrwert in klassischen Engineering- Disziplinen.
Was muss sich bei uns ändern, um diese Chance optimal zu nutzen?
Eine engere Verbindung zwischen der Informatik und den Anwendungsdisziplinen. Bessere Ausbildung der Informatiker, sowohl in den theoretischen Grundlagen und neuen Methoden, als auch im Anwendungswissen.
Welches noch zu realisierende Gadget hätten Sie persönlich gern?
Die intelligente Brille. Sie flüstert mir den passenden Namen ins Ohr, wenn ich wieder einmal einem alten Bekannten gegenüberstehe und nicht mehr weiß, wer das ist.
Das Gespräch führte Udo Flohr
Link: www.first.fraunhofer.de