Mikrometerpräzision für die Luftfahrt
Das Start-up additiveStream entwickelt eine Brückentechnologie, die Inspektion und Reparatur nahtlos verbindet

Das Berliner Start-up additiveStream verbindet modernste Inspektionsverfahren mit Metall-3D-Druck, um Turbinenschaufeln und andere Hochleistungskomponenten effizient zu reparieren. Das Unternehmen hat eine Brückentechnologie geschaffen, die Bestehendes smarter macht – und damit den Instandhaltungsprozess in der Luftfahrt verändert.
In einer Turbine drehen sich Hunderte Schaufeln im heißen Gasstrom – jede Einzelne so präzise gefertigt, dass Abweichungen im Mikrometerbereich entscheidend sind. Winzige Risse oder Materialverluste beeinflussen Sicherheit, Effizienz und Lebensdauer des Triebwerks. Bis heute werden viele dieser „Blades“ in Handarbeit repariert: Fachkräfte schweißen Millimeter für Millimeter auf, prüfen nach, schweißen weiter. Das dauert, kostet und hängt von menschlicher Routine ab.
Präzision trifft Effizienz
additiveStream geht einen anderen Weg. Das Team kombiniert optische Hochleistungsscanner, industrielle Roboter und Metall-3D-Drucker mit eigener Hardware und Software. So entsteht eine Brückentechnologie, die vorhandene Anlagen aufrüstet: „Wir sind keine Hersteller kompletter Anlagen, sondern schaffen die Verbindung zwischen Inspektion und Reparatur“, sagt Gründer Simon Feicks. „Unsere Komponenten – eine spezielle Vorrichtung, ein präzises Kamerasystem und die Steuerungssoftware – lassen Scanner und Drucker so miteinander sprechen, dass sie nicht nur produzieren, sondern auch reparieren können.“
Das Verfahren beginnt mit einer luftrechtlich validierten Inspektion. Der Scanner erfasst die Bauteile bis ins Mikrometer, Algorithmen entscheiden, ob ein Blade weiterfliegen darf, repariert werden muss oder ausgemustert wird. Schon hier entstehen Einsparungen: Weniger Fehlentscheidungen bedeuten weniger unnötige Verschrottungen. Der zweite Schritt ist die Reparatur selbst. Metall-3D-Drucker arbeiten dabei wie hochpräzise Mikroschweißgeräte. „Wir können heute bis zu 200 Blades gleichzeitig unter denselben Bedingungen instandsetzen – jedes individuell nach digitalem Befund.“ Anstatt einen kompletten Grundkörper neu zu fertigen, werden nur die tatsächlich beschädigten Bereiche additiv aufgebaut. Das spart Material, Maschinenzeit und Kosten.
Von der ESA ins CHIC
Die Wurzeln der Idee reichen zurück bis 2014, als Simon bei der Europäischen Weltraumorganisation mit additiver Fertigung für Satellitenbauteile arbeitete. Über das Fraunhofer-Institut für Lasertechnik (ILT) in Aachen und ein Projekt mit Airbus kam er zu Lufthansa Technik, wo er ab 2015 in Hamburg die ersten additiven Reparaturprozesse für Turbinen entwickelte. Dort stieß er schnell auf die Grenzen eines Großkonzerns: lange Entscheidungswege, viele Abstimmungen, wenig Raum für schnelle Prototypen. „Ich liebe das Thema – aber für mich war klar: Wenn ich das weiterentwickeln will, muss ich raus.“
2019 folgte der Schritt in die Selbstständigkeit. Gemeinsam mit Kollegen aus dem Lufthansa-Team entwickelte er die Technologie neu – diesmal nicht für einen einzelnen Instandhaltungsbetrieb, sondern so, dass Triebwerkshersteller weltweit sie in ihre Service-Netzwerke integrieren können. Während der Pandemie reifte der Businessplan, es folgte das EXIST-Gründerstipendium und 2022 die Gründung von additiveStream.
Heute sitzt das Unternehmen im Charlottenburger Innovations-Centrum (CHIC), sieben Mitarbeitende und ein erfahrenes Beraternetzwerk arbeiten an Pilotprojekten in Europa, Asien und den USA. Der Fokus liegt zwar auf der Luftfahrt, doch erste Anwendungen in der Energiebranche, der Schiffstechnik und der Werkzeugindustrie zeigen: Das Potenzial der Brückentechnologie geht weit über Flugzeugturbinen hinaus.
Der nächste große Schritt ist bereits in Vorbereitung. Nach dem ersten Systemverkauf in die USA will additiveStream in den kommenden zwei Jahren in allen Kernmärkten Referenzkunden gewinnen – von Airlines über Gasturbinenhersteller bis zu Werkzeugproduzenten. Langfristig soll die Technologie fester Bestandteil der Reparaturprozesse großer OEMs (Originalausrüstungshersteller) werden. „Wer in diese Strukturen aufgenommen wird, kann Technologie, Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit langfristig verbinden“, sagt Simon.
Kai Dürfeld für CHIC!