Nachweislich enkeltauglich: Geschäftsprinzip Nachhaltigkeit
Essay von Professor Dr. Holger Rust, Wirtschaftssoziologe, Praktiker und Publizist
Dass sich mit Nachhaltigkeit Geld verdienen lässt, beweisen einige Auktionen der letzten Jahre, auf denen frühe Ausgaben des Werkes „Sylvicultura oeconomica oder Hauswirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung zur Wilden Baum-Zucht” aus der (und das ist in diesem Zusammenhang wörtlich zu nehmen) Feder eines Autors mit dem Namen Hans Carl von Carlowitz versteigert wurden. Dieses Buch über die Forstwirtschaft, das 1713 erschien, ist deshalb hier von Belang, weil in ihm, wie viele der Leserinnen und Leser dieses Magazins natürlich wissen, zum ersten Male der Begriff Nachhaltigkeit erscheint. Es gibt also kaum etwas Nachhaltigeres als den Begriff der Nachhaltigkeit. Und es ist mehr als eine Arabeske, dass er sich fast 310 Jahre später in den Trend zur Monetarisierung geistiger Güter einfügt, denn das Buch bringt gut und gerne um die 1.500 bis 2.000 Euro.
Diese Summe nun wiederum in einen Öko-Fonds investiert, könnte erstens zu weiterem Gewinn und zweitens zu einer hübschen Bildungsgeschichte führen, die man später noch den Nachfahren erzählen kann, während man ihnen die Depotwerte erläutert, mit denen sie ein Smarthome anzahlen oder ein E-Mobil kaufen.
Denn Nachhaltigkeit ist nun selber zu einem Geschäftsprinzip avanciert, wenn auch gelegentlich ein wenig verdächtig inflationär. Ablesen lässt sich das an der Tatsache, dass ein vor Urzeiten erdachtes Wort nun, lässt man mal die übersetzten Versionen weltweit außen vor, mehr als einhundert Millionen Mal in den Suchmaschinen auftaucht und in Politik und Wirtschaft, Alltag und Kultur als ebenso selbstverständliches wie die Anwender adelndes Attribut für … ja für was eigentlich? … gilt. Denn was heißt das, wenn alles leichthin mit der Schmuckfarbe „nachhaltig“ angereichert wird? Und, zweite Frage, müssten wir nicht, wenn die Verbreitung des Begriffs tatsächlich unser Verhalten spiegelte, schon längst größere Erfolge vorweisen?
Wir müssen also aufpassen, dass das Wort nicht einfach nur zu einem semantischen Modeschmuck verkümmert. Solche Worte gibt es ja immer wieder, die dauernd angewendet werden und doch nichts wirklich sagen: „spannend“ zum Beispiel oder, etwas mehr lowbrow, für im Grunde ungezählte Nuancen wohlempfundenen Geschmacks: „lecker“, auch ein altes Wort, aber im Gebrauch geschunden, nicht zuletzt durch seinen grotesken Superlativ „megalecker“.
Über Geschmack, auch an Worten, kann man ja streiten, wie bekannt. Alternativen sind zum Glück und zuhauf verfügbar. Auch klärende Kombinationen, mit denen Nachhaltigkeit dann auch plausibel belegt werden kann.
Sodass man nun am Ende ein zweites Wort hat, mit dem das erste, nachhaltig, verbunden sein sollte, um zu dokumentieren, dass es sich nicht nur um ein oberflächliches Lippenbekenntnis handelt: nachweislich. Wie es eben an vielen Beispielen in dieser Ausgabe geschieht. Voraussetzung wäre, um es mit einem weiteren hübschen Wort aus dem zitierten Werk des frühen 18. Jahrhunderts zu illustrieren, den „Wiederwachs“ dessen nachzuweisen, was man zwangsläufig oder lustvoll verbraucht hat.
Wiederwachs! Das muss einem erst mal einfallen!
Wobei, das sollte nicht unerwähnt bleiben, auch unsere Zeit wunderbare Worte erfindet, die als Synonym für das inflationäre „nachhaltig“ gelten können: „enkeltauglich“ zum Beispiel. Allerdings verändern sich derzeit Worte sehr rasch, um dem sich stetig differenzierenden Blick auf die Wirklichkeit und ihre vielfältigen Repräsentationen noch folgen zu können. So sollte es fürderhin doch „enkel/-innentauglich“ heißen. Nachweislich natürlich.
Professor Dr. Holger Rust ist Wirtschaftssoziologe, Praktiker und Publizist. Er lebt in Schleswig-Holstein. In diesem Frühjahr erschien sein Buch „Weise Voraussicht und Erfolgsplanung. Ziele, Inhalte und Strategien einer neuen Zukunftsforschung für Unternehmen“, Springer/Gabler 2021.