Nützliche Winzlinge: Der Kampf für ein besseres Image der Kleinstlebewesen
Schleimige Fäden ziehen sich durch die Limonade. Geöffnet verbreitet sie einen käsigen Geruch. Der Übeltäter heißt Leuconostoc, ein Milchsäurebakterium, welches für sein Wachstum hochkonzentrierten Zucker verstoffwechselt und Schleim bildet. Eine ganze Ladung der neuen Fassbrause ist ruiniert. Durch Mikroorganismen verdorbene Ware führt in deutschen Unternehmen zu immensen wirtschaftlichen Schäden. Trotzdem hört Birgit Fiedler eine pauschale Verurteilung von Mikroorganismen wie Hefen, Pilzen oder Bakterien nicht gern.
Birgit Fiedler hat vor zwölf Jahren das Speziallabor für angewandte Mikrobiologie in Adlershof gegründet. Das akkreditierte mikrobiologische Prüflabor analysiert Medizinprodukte, pharmazeutische Erzeugnisse, Trinkwasser, Kosmetika und Lebensmittel, berät Unternehmen und führt Schulungen durch. Im Mai hat das Unternehmen ein neues Reinraumlabor in Betrieb genommen.
Das Wissen um die Mikroorganismen hat sich in den letzten 20 Jahren um ein Vielfaches vermehrt. Mit neuen Technologien sind inzwischen sogar Einblicke in ganz neue Lebenswelten auch von Mikroorganismen gelungen. Sogenannte extremophile Organismen leben unter extremen Lebensbedingungen, etwa in der Tiefsee, unter hohem Druck oder in heißen Quellen. Deren Stoffwechselprodukte könnten in Zukunft zum Beispiel als Zusatzstoffe für Lebensmittel an Bedeutung gewinnen.
Doch mit all dem Wissen sind die Schadensfälle nicht weniger geworden. „Wir machen immer die gleichen Fehler“, sagt Birgit Fiedler. „Wir versuchen, die Biologie durch die Chemie und die Physik zu überlisten. Das funktioniert nicht.“ Schon beim Trinkwasser würden die ersten Bedenken immer dem Blei, Zink oder den Pestiziden gelten. „Dabei gehen die größten Bedrohungen für das Trinkwasser, wie bei der Cholera, von bakteriellen Vergiftungen aus.“ Aber Deutschland „denkt“ chemisch, resümiert die promovierte Lebensmitteltechnologin.
Schon 1990 hat Fiedler über „Nützliche Winzlinge“ oder den „Angriff der Unsichtbaren“ geschrieben. Ein Feld auf dem sie heute noch für Aufklärung kämpft, für ein besseres Image der Kleinstlebewesen. Denn da, wo sie hingehören, sind Pilze, Hefen und Bakterien nützlich, sagt Fiedler. Wer möchte sich Bier oder Brot ohne den Einsatz von Hefe vorstellen, wie würden Joghurt, Quark oder Sauerkraut schmecken, ohne Milchsäurebakterien. Und wer will Gorgonzola-Käse ohne Edelpilz. Gelangen Milchsäurebakterien in Bier, verursachen sie jedoch eine ganz andere Wirkung: Das Bier schmeckt sauer.
„Mangelnde Hygiene ist in der industriellen Lebensmittelproduktion die häufigste Ursache für die schädliche Wirkung von Mikroorganismen“, sagt Birgit Fiedler. Die genaue Untersuchung der Produktionsprozesse ist oft schon ausreichend für die erste „Diagnose“. „Wir haben alles wie immer gemacht“ – ist eines der Argumente, das Birgit Fiedler dann meist hört. Doch immer gibt es kleinere Abweichungen.
In die Fassbrause gelangten die Bakterien durch den Zucker, der von einem neuen Lieferanten kam. Schon auf dem Ausgangsstoff, der Zuckerrübe oder dem Zuckerrohr saß der Organismus, der dann durch die ganze Weiterverarbeitung „geschleppt“ wurde, sich von dem Zucker ernährt und diesen zu übelriechendem Schleim verdaut hat.
Von Rico Bigelmann
Link: www.speziallabor.com