Nur Meckern ist schöner: Wenn Fliegen kein Wunder mehr ist
Essay von Malte Welding, Autor, Kolumnist und Blogger
Für 2014 spätestens hatte man uns fliegende Autos versprochen. Eine nagende Enttäuschung, wenn ich den Blick von der Straße in den Himmel schweifen lasse: Alles schleppt sich, nichts fliegt. Aber Hoffnung naht! „Aeromobil“, so heißt es auf der Homepage der gleichnamigen slowakischen Firma, „ist ein Flugauto, das sich auf perfekte Weise bereits existierender Infrastruktur bedient, die für Automobile und Flugzeuge geschaffen wurde, und die Tür öffnet für echte Tür-zu-Tür-Reisen.“ Die Tür öffnen, um von Tür zu Tür zu reisen! Endlich!
Als Beweis gibt es ein Video von einem Auto, das tatsächlich zu einem Flughafen fährt, auf der Startbahn die Flügelchen spreizt und sich in die Lüfte schwingt! Gerade einmal 555 Menschen haben sich den Clip der Firma auf YouTube angesehen. Fliegende Autos scheinen ein alter Hut zu sein, ehe es sie so richtig gibt.
Wir haben, man kann es nicht anders sagen, einen gewissen Ennui vom technischen Fortschritt. Videotelefone, per App bestellbare Autos, Angry Birds. Wir sind nicht gerade ehrfürchtig angesichts dieses Zauberwerks, wir bemerken es eigentlich nur, wenn mal etwas nicht funktioniert. Das Wunderbarste und Staunenerregendste an der Luftfahrt ist daher in Wahrheit, dass man sich fürchterlich darüber aufregen kann, wenn man von Berlin losgeflogen ist und mit fünf Minuten Verspätung nach neun Stunden in New York landet.
Schon immer eigentlich hat der Mensch vom Fliegen geträumt, aber nie hatte er zu träumen gewagt, sich wütend zu beschweren, wenn Kleinigkeiten beim Erleben dieses Wunders nicht so funktionieren, wie er das erwartet hat. Man wäre begeistert gewesen, dass man überlebt. Geflogen und nicht abgestürzt? Ein Mirakel! Heute dagegen: Ich habe in zehn Kilometer Höhe kein WLAN? Bringen Sie mir den Kapitän!
Mein Vater war ein sehr alter Vater, er wurde 1921 geboren und dann auch noch in einem winzigen Dorf in Estland. Sieben Jahre zuvor hatte der erste kommerzielle Flug in Florida zwischen St. Petersburg und Tampa stattgefunden. Drei Monate lang flog das Pilotenteam die Route hin und wieder zurück. 1.205 Passagiere sind in dieser Zeit geflogen – 2013 waren weltweit drei Milliarden Flugpassagiere unterwegs.
Als mein Vater auf die Welt kam, war Fliegen noch etwas aus einer anderen Welt – überhaupt Welt: Die Welt war noch riesig, kein Dorf, sondern ein ganzer Kosmos! Fliegen war für meinen Vater etwas aus 1001 Nacht. 1929 dann die sogenannte Weltfahrt – die erste Weltumrundung mit einem Zeppelin. In New York gab es für Besatzung und Fahrtgäste eine Parade. Ich muss gestehen, dass das auch für mich etwas wäre. Es müsste ja nicht gleich die ganze Stadt New York auf den Beinen sein zum Anlass meiner Ankunft auf amerikanischem Boden, aber wenn nur die Zollbeamten und das Putzpersonal eine kleine Parade abhielten, wäre ich schon ganz zufrieden. Ein paar Luftballons, etwas Konfetti, nichts Ernstes, etwas Marschmusik vielleicht, und man hört so viel Gutes von den Cheerleadern.
Im vergangenen Jahr ist mein Sohn geboren. Fliegen, selbst mit dem Auto, wird für ihn in etwa so aufregend sein wie für meine Generation Pril. Aber Raumfahrt, ein Mondbesuch, vielleicht mit einer Parade am Mondkrater Aristarchus, das könnte ihm behagen. Acht Jahre vor der Geburt meines Sohns zahlte die Iranerin Anousheh Ansari 16 Millionen Dollar für ihren Raumflug, sie war damit eine der ersten Privatreisenden im Weltraum. Es kann also noch eine Weile dauern, bis mein Sohn sich einen Mondflug leisten kann. Fest steht nur, dass meine Enkel sich beschweren werden, dass auf dem Mond das Riechkino so unterentwickelt ist.