Ökosystem für die Chemiewende
Mit der „GreenCHEM“-Initiative soll die Hauptstadtregion als europäisches Zentrum für Grüne Chemie etabliert werden
Drei Universitäten, zwei Chemieunternehmen und ein wachsendes Netzwerk aus Wirtschaft und Wissenschaft planen, die Hauptstadtregion als europäisches Zentrum für Grüne Chemie zu etablieren. Der Bund fördert die „GreenCHEM“-Initiative mit zehn Millionen Euro.
Mit Ökosystemen kennt Martin Rahmel sich aus. Seit Jahren setzt sich der Wirtschaftsingenieur mit Schwerpunkt Technische Chemie ehrenamtlich für die Wiederansiedlung des atlantischen Lachses in Brandenburgs Gewässern ein. Wissenschaftlich begleitet, nahezu professionell und mit Engelsgeduld verfolgt er im Verein Fario e. V. dieses Ziel; trotz aller Rückschläge, die mit dem Ansiedeln einer durch menschliche Eingriffe komplett ausgestorbenen Art einhergehen. „Der Lachs braucht ein intaktes, von Diversität geprägtes Ökosystem. Und weil bei seiner Wanderung genetische Effekte mitspielen, genügt es nicht, angekaufte Junglachse auszusetzen“, erklärt er. Sein Verein betreibe daher auf rein ehrenamtlicher Basis eine eigene Brutanlage.
Um Diversität, intakte Ökosysteme und Nachwuchsförderung vor Ort geht es auch in Rahmels Beruf. Er ist Mehrfachgründer von Chemie-Start-ups und Geschäftsführer der Chemical Invention Factory an der Technischen Universität Berlin (TU). Diese firmiert als John Warner Center for Start-ups in Green Chemistry und schafft Idealbedingungen für Spin-offs, damit sie wissenschaftliche Erkenntnisse rund um eine nachhaltige, in Kreislaufprozessen agierende Chemie zügig in die Märkte transferieren. Es ist ein Ökosystem mit Laboren, das jungen Chemikerinnen und Chemikern den Start ins Unternehmertum ermöglicht. Die Grundlagen dafür vermittelt ihnen die TU im Rahmen ihres Studiums.
Wissenstransfer ist planbar
Diese Keimzelle für die Chemiewende ist im Begriff, auf die gesamte Hauptstadtregion überzugreifen. Sie ist Teil der Initiative „GreenCHEM“, die Berlin-Brandenburg als Transferregion für Grüne Chemie etablieren möchte und dafür jüngst vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) eine Förderzusage über zehn Millionen Euro erhalten hat. Ihr Koordinator: Martin Rahmel. Und auch hier hat er ein Ökosystem im Sinn, in dem Industriebetriebe, wissenschaftliche Einrichtungen und Start-ups ihr Wissen austauschen und Innovationen gemeinsam angehen. Zu den „GreenCHEM“-Initiatoren gehören auch die Freie Universität Berlin (FU), die Humboldt-Universität zu Berlin (HU) und die beiden Unternehmen Covestro und BERLIN-CHEMIE. Dem Gründungskreis schließen sich immer mehr regionale Akteure aus Wissenschaft, Industrie und Wirtschaftsförderung an, darunter auch die WISTA Management GmbH.
Gemeinsam möchten Sie die bisher zu nahezu 90 Prozent auf fossilen Rohstoffen basierende, lineare Prozesswelt der chemischen Industrie in zirkuläre Bahnen lenken: Nachwachsende Rohstoffe sollen in geschlossenen Stoffkreisläufen genutzt – und toxische Verbindungen vermieden werden. Schon 29 regionale Partner haben sich eingeklinkt, um anstelle des Verbrauchs natürlicher Ressourcen deren Gebrauch zu etablieren. Unter anderem soll Prozesswasser mit innovativen Methoden so gründlich aufbereitet werden, dass keinerlei Reststoffe darin bleiben. Der Schlüssel dazu ist der schnellere und umfassendere Austausch von Wissen. „Wir hören im Dialog mit der Industrie oft von Problemen, für die es Lösungen gibt“, berichtet Rahmel. Daher strebt GreenCHEM einen Transfer in zwei Richtungen an: Die Hochschulforschung soll Erkenntnisse und Ideen in die Märkte pushen. Umgekehrt sollen die beteiligten Industrieunternehmen ihre ungelösten Probleme in das Netzwerk hinein kommunizieren. „Denn dann können sich Start-ups und Hochschulen gezielt auf die Lösungssuche machen“, sagt er.
Ziel ist ein selbsttragendes Ökosystem
Zu den Zielen der Initiative gehört es, neue Formate für den Austausch und für niederschwellige Kooperationen zu entwickeln. Die Akteure sollen schnell ins Probieren kommen und funktionierende Ideen mithilfe eines hochflexiblen Angebots an Laborflächen zügig auf Industrieniveau skalieren. Um das Rad nicht neu erfinden zu müssen, scannt die Initiative auch die aktuelle Transferforschung – und adaptiert deren Befunde an die spezifischen Anforderungen der chemischen Industrie. Letztlich ist es wie bei den Lachsen: Es gilt, ein intaktes Umfeld zu schaffen, damit sich das Ökosystem auf Dauer selbst trägt. Dass er die nötige Geduld dafür mitbringt, beweist Rahmel seit Jahren beim mühsamen Wiederansiedlungsprojekt. Und mittlerweile stößt sein Verein immer öfter auf ausgewachsene Tiere, die es zum Ablaichen zurück nach Brandenburg zieht.
Von Peter Trechow für POTENZIAL
- Mehr zur Initiative GreenCHEM im Video
- Mehr Infos zum Wiederansiedelungsprojekt des atlantischen Lachses: www.farioev.de