Ohne Scheu: Social-Media-Technologien für Senioren
Luise Schmidt ist 68, hat Herzbeschwerden. Sie strickt gern und lebt allein. Luise Schmidt ist ein prototypischer Senior. Keine reale Person, sondern erfunden von Dr. Michael John und seinen Kollegen vom Fraunhofer-Institut für Rechnerarchitektur und Softwaretechnik FIRST in Adlershof. Mit solchen benutzerzentrierten Vorgehensweisen wollen die Wissenschaftler herausfinden, wie Mensch-Maschine-Schnittstellen – sogenannte Graphic User Interfaces – aussehen müssen, um älteren Menschen die häufig vorhandene Scheu vor neuen Technologien zu nehmen und so deren soziale und multimediale Interaktion zu fördern.
Ein Viertel der 70- bis 85-Jährigen ist – mit kurzen Ausnahmen wie Einkäufen oder Spaziergängen – den ganzen Tag zu Hause. Bei Menschen zwischen 40 und 54 beträgt dieser Anteil nur sieben Prozent. Bessere gesundheitliche Verfassung, höhere Qualifikationen und gute materielle Absicherung verlängern den Ruhestand, aber erhöhen auch die Gefahr der Isolation. Menschen mithilfe von Social-Media-Technologien besser zu integrieren, ihren Alltag medizinisch sicherer und komfortabler zu gestalten, sind notwendige Aufgaben.
Daran forschen u. a. Fraunhofer- FIRST-Wissenschaftler in den Projekten „SmartSenior“ und „Silver-Game“. Ihre Kernfrage ist: Wie kann die geringe Affinität älterer Menschen zum Medium Internet überwunden werden? Mit Senioren-Testgruppen klärten John und seine Kollegen: Welche Technik ist in der Zielgruppe akzeptiert, wie nutzen Senioren das Internet und welche Eingabemedien bevorzugen sie? Das Ergebnis: Ältere Menschen wollen möglichst wenig Interaktion mit Technik, sie soll „unsichtbar“ sein. Das Standard-Eingabemedium ist die TV-Fernbedienung.
Durch das SilverGame-Projekt erhalten ältere Menschen eine Möglichkeit, virtuell am Monitor oder vor dem Fernsehgerät zu singen oder zu tanzen und sich gleichzeitig in Online-Medien über verschiedene Themen zu informieren und auszutauschen. Über eine Audio- oder Videokonferenz können sie sich trotz räumlicher Trennung zu gemeinsamen Aktivitäten verabreden. Das Team um John entwickelt und implementiert dafür Algorithmen zur Spracherkennung, Gestensteuerung und Bewegungserfassung und unterstützt Partner bei der Systemintegration und den Systemtests.
Wie integrierte SmartSenior-Anwendungen im häuslichen Umfeld aussehen, zeigt seit November 2010 eine Musterwohnung in Potsdam, südwestlich von Berlin. Herzstück der Dienste ist ein vernetzter Flatscreen-Fernseher. Sensorikdaten aus Bewegungs-, Kontakt- und Temperaturmessungen werden überall in der Wohnung gesammelt und sind über den Bildschirm abrufbar. Fraunhofer FIRST hat dafür neue Technologien zur Integration und Analyse von Sensordaten sowie neuartige sensorbasierte Geräte- und Mediensteuerungen für medizinische und nicht-medizinische Anwendungen entwickelt. Für den Schutz der Privatssphäre des Seniors arbeitet das Institut an rollenbasierten Sicherheitstechnologien, damit für den Nutzer nachvollziehbar ist, welche Daten gespeichert und an wen sie übermittelt werden.
von Rico Bigelmann
Link: www.first.fraunhofer.de