Passionen und Proportionen
Christian Schmidt ist Geigenbauer, Musiker und Maler
Jungfrauenurin für den Lack, bei Neumond gefällte Bäume für das Holz – um die Instrumente der lombardischen Geigenbauerfamilien Amati, Stradivari oder Guaneri ranken sich zahlreiche Mythen. Was schon musikalisch klingt, lässt die Herzen von Liebhabern in der ganzen Welt höherschlagen. Manchmal, sagt Christian Schmidt, Musiker und Geigenbauer, gelange so ein Instrument auch in seine Werkstatt. Wenn er gerade keine Geigen, Bratschen oder Celli baut oder repariert, dann malt der Baselitz-Schüler in seinem Adlershofer Atelier.
Das aus den Holzstücken auf dem Arbeitstisch einmal eine Geige werden soll, ist noch schwer vorstellbar. Unendlich viele Arbeitsschritte mit Formbrettern, Halseisensatz, Geigenbauerhobel, Reibahle, Feinsäge und Biegeeisen sind notwendig, bis daraus ein fertiges Instrument wird. Etwa sechs Wochen Arbeit insgesamt. Traditionell bestehen der Geigenboden, die Zargen – die gebogenen Holzteile, die Decke und Boden miteinander verbinden – aus Ahornholz, die Decke selbst aus Fichte. Kam der Werkstoff für die italienischen Wundergeigen noch aus den Dolomiten, stammt er heute aus Bosnien und den Alpenländern – gewachsen in 1.000 Metern Höhe.
Ein kleines Wunder sei so eine Geige, findet Schmidt. Eigentlich „nur eine Holzkiste“, aber eine mit perfekten Proportionen. Eine Skulptur, die Musik macht, dem menschlichen Körper nachgeformt. Schmidts Faszination für den Geigenbau ist geprägt von einer große Freude an und der Bewunderung für makellose Proportion. Ein Wort, das er häufig verwendet. Es sei kein Wunder, dass die Renaissance die Geige hervorbrachte. Damals wurde der „goldene Schnitt“ – bekannt seit der Antike – wiederentdeckt und für die künstlerische, architektonische und kunsthandwerkliche Praxis zum idealen ästhetischer Prinzip erhoben.
Begonnen hatte Schmidt als Stuckateur. „Als besseren Bauarbeiter“ empfand er sich damals und studierte Architektur. Doch Anspruch und Wirklichkeit seiner Berufswelt stimmten für ihn nicht überein. Während dieses Studiums fing er die Malerei – eine Leidenschaft aus Jugendtagen – wieder an. An der Hochschule der Künste in Berlin lernt er unter anderem bei Georg Baselitz. Schmidt spielt Geige, Cello und, „um die Finger laufen zu lassen“, auch Gitarre. Heute vereint sich all das auch in seinem Geigenbau. Festlegen lassen auf nur eine dieser Passionen will sich der Modigliani-Bewunderer nicht. „Das wird mir zu eng.“
Ob er ein Künstler sei? Derartige Kategorisierungen belustigen Schmidt. Jeder kann sich Künstler nennen. Kunst könne man überall entdecken: ein Koch kann ein Künstler sein, auch ein Masseur. Er spart sich Begriffsdefinitionen. Beim Malen geht es ihm – wie auch beim Musizieren oder beim Instrumentenbau – um den Prozess, um das Eintauchen in die Arbeit, um den einen Moment, in dem etwas passiert, das über das Profane hinausgeht. „Der Augenblick, wenn die Arbeit zusammenkommt.“ Denn, auch wenn an sich alle Einzelteile einer Geige oder eines Bildes gut seien, erklärt Schmidt, müsse das nicht bedeuten, dass es als Ganzes funktioniere. „Es kann alles immer den Bach runtergehen. Beim Malen ist das sogar die Regel.“
Von Rico Bigelmann für Adlershof Journal