Poetry in Colour
Die Bilder des koreanischen Malers Yongtak Choi sind Stimmungsmacher
Seit der Antike streiten Gelehrte und Philosophen um den Begriff der Poesie und darum, ob die Malerei oder die Dichtung bedeutender sei beim Erschaffen von Bildern. Schwesternkünste für die einen. Malerei, die Kunst mit den engeren Grenzen, für die anderen. Poesie, erklärt der Dichter Gotthold Ephraim Lessing, ordne Worte in der Zeit, während Malerei sie durch Farben und Formen im Raum anordne. Für Yongtak Choi bedeutet Malen „mit Farben Poesie schreiben“. Und so hieß seine letzte Ausstellung auch folgerichtig „Poetry in Colour“.
Im Dezember 1999 kommt Yongtak Choi zu Verwandten nach Deutschland. Kalt und grau findet er es, und meint damit nicht unbedingt das Wetter, sondern die Atmosphäre. Im Gegensatz zu seinem Heimatland Korea, in dem bunte Kleidung beliebt ist, tragen hier alle dunkle Sachen. Doch die Menschen, die ihm begegnen, nimmt er ganz anders wahr. Hilfsbereit, nett und offen – Choi knüpft viele neue Kontakte. Fast 30 Jahre alt war der Maler damals bereits, hatte den Militärdienst und ein Kunststudium in Seoul absolviert. Nach bestandener Aufnahmeprüfung an der Kunsthochschule Kassel studiert er bei den Malern Kurt Haug und Jörn Stoya, wird Meisterschüler beim Schweizer Fotograf, Maler, Video-, Performance- und Installationskünstler Urs Lüthi. Selbstbewusst waren die Studenten, die durchweg alle jünger waren als er, fand Choi. Alle hatten Pläne und, wie er sagt, „eigene Gedanken“. Viel Raum hatte er als Student, es ging nicht um „Scheine machen“, er konnte sehr viel und sehr frei künstlerisch arbeiten in Kassel, erinnert er sich. Den Schock der neuen Umgebung, der neuen Kultur hat er so gleich produktiv verarbeitet. Dass er begabt sei, diese Überzeugung hat sich bei Choi, im Gegensatz zu seiner Mutter, recht langsam gefestigt. Aber gemalt habe er schon immer.
Gesichter, zeitlos und ohne definierbaren Ort
Yongtak Choi, Jahrgang 1973, modelliert in seinen Bildern oft Gesichter, die in Szenen wie schillernde Seifenblasen eingebettet sind, zeitlos und ohne definierbaren Ort. Dem koreanischen Maler, der sein Atelier in Adlershof hat, bescheinigen die Kritiker „altmeisterliche Perfektion“ und „Optimismus“, seine Bilder nennen sie „Stimmungsmacher“. Lucian Freud, der „Maler des Fleisches“, der in seinen realistischen Porträts seine Modelle nicht nur gemalt, sondern ergründet und teilweise seziert hat, ist für Choi Inspiration. Ebenso der magische Realismus des schottischen Malers Peter Doig, der auf seinen Gemälden herkömmliche Gegenstände mit kräftigen Farben und abstrakten Elementen eigenwillig bekannt und doch seltsam fremd darstellt. Oder die gleichaltrige deutsch-niederländische Malerin Miriam Vlaming, die den Menschen mit seinen Hoffnungen, Neigungen und Erwartungen in den Mittelpunkt ihrer Bilder stellt und mit kräftigen, manchmal erstaunlich grellen Tönungen fragt: Was macht uns lebendig?
Bilder mit intensivem Eigenleben
Das Mädchen auf dem Bild „All + Ein 16“ ist in einen Schlafanzug gekleidet. Ängstlich und scheu blickt es auf den Betrachter. Schützend umklammert es ein Kuscheltier. Etwas, das wie Engelsflügel aussieht, stellt sich bei genauerer Betrachtung als Quallententakel heraus. Sie schützen das Mädchen und das Wertvolle, das sie in den Armen hält. Kinder in Nachtkleidern assoziieren Schlaf, Träume und Traumwelten, die einerseits Sicherheit bedeuten können, aber auch absolute Verletzlichkeit und Schutzbedürfnis. Aus den fast schwerelosen, farbenfrohen Bildnissen wächst so eine spürbare Bedrohung, zweideutig und ungenau. Alle Bilder Yongtak Chois entwickeln dieses intensive Eigenleben, erlauben viel Raum für die Vorstellungskraft des Betrachters und Poesie im Sinne eigener Geistesgeburten. Sie sind großformatige, manchmal fantastische Seelenbildnisse wie unter einer Wasseroberfläche, die den Begriff der Realität ergründen.
von Rico Bigelmann für Adlershof Journal
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