Raus aus der Komfortzone
Vom Wissenschaftler zum Unternehmer und umgekehrt – Zwei Beispiele aus Adlershof
Nur wenige wagen ihn: den Neuanfang. Doch wer sich für einen Perspektivwechsel entscheidet, wird dafür belohnt werden, wie zwei Wagemutige zeigen, die am Campus Adlershof den Weg vom Wissenschaftler zum Unternehmer und vom Unternehmer zum Wissenschaftler gewählt haben.
Promotion, der erste Job nach dem Studium, dann Team-, Abteilungs-, Produktions- und schließlich Entwicklungsleiter: alles bei einer Firma. Die Karriere bei der auf Siliziumkarbid-Substrate spezialisierten Firma SiCrystal lief für Thomas Straubinger schnurstracks. Fast 20 Jahre blieb er bei dem Nürnberger Unternehmen. Hätte so weitergehen können.
Oder auch nicht. Straubinger entschloss sich für einen Neuanfang und wechselte im Sommer an das Leibniz-Institut für Kristallzüchtung (IKZ) in Adlershof. Als Wissenschaftler. Dort agiert er aktuell als Themenleiter für die Entwicklung von Züchtungs- und Bearbeitungsprozessen zur Herstellung von Aluminiumnitrid-Halbleitersubstraten, die man unter anderem für UV-Leuchtdioden zur Wasserdesinfektion benötigt. „Zukünftig werde ich auch für die Identifizierung neuer kristalliner Halbleitermaterialien und deren mögliche Anwendungen verantwortlich sein“, berichtet er. Aber warum der Wechsel? Warum tauscht man einen gut bezahlten festen Job gegen einen Zweijahresvertrag mit weniger Einkommen? Warum zieht man mit der Familie von Bayern nach Berlin, wo man sogleich einschlägige Erfahrungen mit der berüchtigten Bürokratie sammelt? Ganz einfach: Weil eine Luftveränderung manchmal sein muss – und man dann noch wie Straubinger den Mut dafür aufbringt.
„Ich war auf der Suche nach neuen wissenschaftlich-technischen Herausforderungen“, erzählt der Physiker. „Die Aufgaben in der Firma SiCrystal haben sich in den letzten Jahren immer mehr von der Entwicklung neuer Prozesse hin zur Effizienz- und Kostenoptimierung verschoben. Dies entsprach nicht meinen persönlichen Stärken und Neigungen.“ Ein guter Zeitpunkt für einen Schnitt. Als hilfreich erwies sich bei der Entscheidungsfindung ein Gespräch mit dem neuen Direktor des IKZ: „Er hat mich von seinen Ideen überzeugt.“ Nicht zuletzt liebäugelten Straubinger und seine Frau schon länger mit dem Gedanken, in die Hauptstadt zu ziehen.
Belohnt wurde Straubinger für seinen ungewöhnlichen Schritt mit, wie er sagt, „interessanteren und vielfältigeren Aufgaben an gesellschaftlich wertvollen Themen, wie etwa der Wasserdesinfektion“. Und mit mehr Zeit, kreativ zu sein. Demgegenüber stehen zwar weniger Gehalt und weniger finanzielle Möglichkeiten zur Umsetzung technischer Projekte, doch seinen Schritt hat Straubinger nicht bereut.
Das geht auch Jürgen Sebastian so. Nur mit dem Unterschied, dass er vom Wissenschaftler zum Unternehmer wurde. Genauer gesagt zum Geschäftsführer und Standortleiter der JENOPTIK Diode Lab GmbH, die Hochleistungsdiodenlaser entwickelt, fertigt und vertreibt. Das Tochterunternehmen der JENOPTIK AG ist eine Ausgründung des Ferdinand-Braun-Instituts, Leibniz-Institut für Höchstfrequenztechnik (FBH), wo Sebastian 16 Jahre als Forscher und zuletzt als Technologieverantwortlicher für Halbleiterlaser wirkte.
Am FBH hatte er einen unbefristeten Vertrag. „Das ist wie ein Sechser im Lotto, praktisch eine Anstellung auf Lebenszeit“, erinnert er sich. Und auch daran: „Die Arbeit am Institut, das in diesem Bereich zur Weltspitze zählt, war fantastisch.“ Doch das Angebot, für Jenoptik als Geschäftsführer eine Firma aufzubauen, war dann doch zu verlockend. „Außerdem reizte es mich als Wissenschaftler natürlich, die Forschung in industrietaugliche Produkte umzusetzen“, erklärt Sebastian. Dennoch war der Wechsel im Jahr 2002 „ein großer Schritt“ für ihn. Was die Sache leichter machte, war die große Unterstützung des Jenoptik-Konzerns und des FBH-Direktors Prof. Günther Tränkle: „Seine Tür stand und steht jederzeit offen“, lobt Sebastian.
Seither ist die JENOPTIK Diode Lab GmbH von fünf auf über 70 Mitarbeiter gewachsen. „Und auch ich bin mit der Aufgabe gewachsen“, berichtet der Chef. „Man wird mit der Zeit ruhiger und lernt, gut mit Stress umzugehen.“ Persönlich stellte die Entscheidung vor 16 Jahren jedenfalls keinen „Riesenumbruch“ dar, versichert Sebastian. Er ist sich in seiner grundsympathischen Bodenständigkeit treu geblieben.
Von Chris Löwer für Adlershof Journal