Schädliche Abwehrstoffe aus dem Verkehr ziehen
Im BMBF-Projekt „reCOVer“ testen Wissenschaftler:innen einen Wirkstoff gegen Long Covid
Die Infektion ist überstanden – aber Symptome bleiben. Wie Long Covid entsteht und was dagegen hilft, wird derzeit weltweit untersucht. Einer der Auslöser sind entgleiste Immunreaktionen. So reagieren zwar alle Patientinnen und Patienten mit der Produktion von Abwehrstoffen auf die Krankheit. Bei einigen jedoch ringen die Abwehrstoffe nicht wie geplant die Krankheitserreger nieder, sondern machen selbst krank. Wie man solche Stoffe gezielt aus dem Verkehr ziehen kann, untersuchen Wissenschaftler:innen vom Universitätsklinikum Erlangen, dem Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts, dem Helmholtz Zentrum München und der Humboldt-Universität zu Berlin. Im Projekt „reCOVer“ fokussieren sie auf ein künstlich hergestelltes Stück DNA, das krankmachende Antikörper deaktivieren kann.
Antikörper sind eigentlich dazu da, Krankheitserreger zu binden. Manchmal jedoch geht etwas schief – und sie wenden sich gegen körpereigene Zellen. Dieser Mechanismus liegt nicht nur Autoimmunerkrankungen wie Multipler Sklerose, sondern auch bestimmten Formen von Long Covid zugrunde. „Solche Antikörper resultieren aus Fehlregulationen des Immunsystems“, sagt der Chemiker Hardy Weißhoff von der Humboldt-Universität zu Berlin. „Aus Antikörpern gegen Krankheitserreger werden Autoantikörper, die sich gegen den Körper richten.“ Long-Covid-Patient:innen, denen solche Autoantikörper zu schaffen machen, fällt oft jede Bewegung schwer. Sie sind müde, können sich nicht konzentrieren.
Abhilfe schaffen könnte ein kleiner Schnipsel DNA – ein sogenanntes Aptamer namens BC 007, das die auf die Neutralisation von Autoantikörpern spezialisierte Firma Berlin Cures entworfen hat. BC 007 – der Name steht für Berlin Cures und verweist zudem mit einem Augenzwinkern auf den berühmten Geheimagenten.
Als Medikament verabreicht, soll es schädliche Antikörper binden und funktionsuntüchtig machen. Durch gezielte Medikation könnten die fatalen Folgen für Patient:innen unterbunden werden. Ob mit der Gabe des Medikaments auch die Produktion der schädlichen Autoantikörper unterbrochen werden kann, muss erst noch untersucht werden.
„Im Rahmen des Forschungsprojekts reCOVer, das im März 2022 gestartet ist und mit 1,2 Millionen Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird, werden wir hier in Adlershof untersuchen, wie BC 007 an die fraglichen Antikörper bindet“, erklärt Hardy Weißhoffs Kollege André Dallmann. Der Chemiker und Leiter der Abteilung für Kernspinresonanzspektroskopie (NMR) ist gemeinsam mit seinen Kolleg:innen dafür verantwortlich, den genauen Bindungsmechanismus aufzuklären, um so die Wirkungsweise des Medikaments besser verstehen und auch etwaige Nebenwirkungen bestimmen zu können. „Konkret ermitteln wollen wir, welche Arten von chemischen Bindungen zwischen den Bausteinen von BC 007 und den Bau steinen der Antikörper zustande kommen“, erläutert Hardy Weißhoff.
Um ihre Ziele zu erreichen, greifen die Chemiker:innen auf die NMR-Spektroskopie zurück. „Messen können wir damit zum Beispiel die Abstände zwischen Atomen, woraus sich dann letztlich die dreidimensionalen Strukturen der untersuchten Proteine berechnen lassen“, erklärt André Dallmann. Kolleg:innen in Erlangen und München werden unterdessen weitere Versuche zu BC 007, seiner Wirkungsweise und zu Autoantikörpern durch führen.
Erste Heilversuche mit BC 007 bei Long-Covid-Patient:innen wurden bereits erfolgreich durchgeführt. Im Zuge des Projekts werden die Forschenden nun unter anderem das Blut von Long-Covid-Patient:innen auf Autoantikörper untersuchen und die Wirkung dieser Antikörper auf den Blutkreislauf bestimmen. So soll es künftig möglich werden, Long Covid eindeutig zu diagnostizieren. „Unsere Partner in Erlangen planen im Rahmen von reCOVer zudem auch eine klinische Studie“, sagt André Dallmann. „Damit soll die Wirksamkeit von BC 007 gezielt untersucht werden.“
Nora Lessing für Adlershof Journal