Scienion ist mit Adlershof gewachsen
„Wir wissen auch die Primadonnen unter den Molekülen zu händeln”
Als ich den ersten Mitarbeitenden erzählte, dass wir nach Adlershof gehen, waren sie völlig entgeistert. Sie fragten mich, ob ich einen Vogel habe“, sagt Holger Eickhoff. „Damals hatte hier alles dieselbe postalische Adresse. Es gab die Überreste vom Wachregiment Feliks Dzierżyński; das Rundfunkhaus vom Schwarzen Kanal; das hatte alles keinen besonderen Ruf. Und es galt nicht als urban.“ Doch es gab ein neues Gebäude mit genügend Expansionsfläche. Und das war es, was der Gründer und CEO der Scienion GmbH im Frühsommer 2001 so dringend benötigte. Denn der Businessplan war geschrieben, die Finanzierung gesichert. Nun brauchte er die Labore, in denen die von ihm bereits am Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik entwickelten Spezialmaschinen bald Biochips ausspucken sollten.
Biochips sind Gebilde, mit denen sich verschiedenste Parameter einer Probe parallel messen lassen. „Dazu werden mit einer Art Tintenstrahldrucker zielgenau kleinste Flüssigkeitsmengen auf spezielle Oberflächen aufgebracht“, erklärt Frauke Hein. Seit Juni 2022 führt die Biotechnologin mit jahrelanger Erfahrung in der Medikamentenentwicklung Scienion gemeinsam mit Holger Eickhoff. „Die Moleküle sind teilweise Primadonnen. Die muss man zu händeln wissen.“
Neben Biochemie-Know-how braucht es aber auch detaillierte Kenntnisse von Oberflächen. Es braucht Biologie-Expertise, um die Anwendung der Chips zu verstehen. Und natürlich Maschinenbautalent, um alles umzusetzen. „Die Maschinen waren unser Wettbewerbsvorteil“, sagt Eickhoff. „Deshalb dachten wir damals nicht im Traum daran, sie zu verkaufen.“ Doch es kamen immer mehr Kunden, die nicht fertige Chips, sondern lieber die Maschinen dahinter beim Berliner Start-up erstehen wollten. „Irgendwann haben wir dann entschieden, doch nachzugeben. Und seitdem fertigen wir für unsere Kunden entweder die Chips oder wir bauen ihnen die passenden Maschinen.“
Das war eine weise Entscheidung: 2004 gab es bereits zum zweiten Mal den Innovationspreis Berlin-Brandenburg – diesmal für die Drucktechnologie. Im gleichen Jahr bestehen sie auf Anhieb ein Kundenaudit inklusive der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA. Eine Finanzierungsrunde spülte neues Kapital in die Kassen. Die Firma wächst. Wird profitabel. Neue Geschäftsfelder wie Einzelzellanalyse und Auftragsproduktion für Kundentests kamen dazu. Und dann kam Covid. „Da habe ich erst mal die Firma zugemacht. Ich wusste ja gar nicht, was passiert“, erinnert sich Eickhoff. „Doch von der Entscheidung, die Firma zu schließen, bis zum Drei-Schicht-Betrieb, vergingen nur ungefähr 14 Tage.“ Plötzlich brauchte alle Welt nicht nur die Dienstleistungen für die Herstellung von Covid-Tests, sondern auch die passenden Maschinen. „Da ist dann auch ein schwedischer Konzern auf uns aufmerksam geworden; fand unsere Drucktechniken und Produkte hoch interessant und hat angeboten, uns zu übernehmen.“ Im September 2020 war das Geschäft abgeschlossen. Seither ist die Scienion fest im schwedischen Life-Science-Konzern BICO (ehemals Cellink) eingebunden und noch mal kräftig gewachsen. „Wir beschäftigen heute weltweit ungefähr 235 Mitarbeitende“, sagt Eickhoff. „Und das wurde für einen alleine zu viel.“ Deshalb hat er Frauke Hein ins Boot geholt.
Und einen Neubau gestartet. „Wir haben hier in Adlershof momentan zwei Standorte und die wollen wir zusammenziehen“, erzählt er. „Für mich ist schon lange klar, dass wir hier am Standort bleiben und ein eigenes, passendes Gebäude bauen. Denn die WISTA hat mit einem absoluten Top-Masterplan das ganze Gelände hervorragend entwickelt.“ Trotzdem wollte er die Meinung seiner Belegschaft hören. Wollten auch sie bleiben? Oder lieber nach Königs Wusterhausen? Nach Charlottenburg? Oder nach Brandenburg? „Das Bild war eindeutig: Lass uns bitte in Adlershof bleiben. Es ist super hier!“
Kai Dürfeld für Adlershof Journal