Serien machen ist eine große Kunst
Wie TV- und Filmproduzentin Beatrice Kramm Zuschauer vor dem Bildschirm halten will
Beatrice Kramm, Geschäftsführerin der Film- und Fernsehgesellschaft Polyphon und seit März dieses Jahres Präsidentin der IHK, schreibt lineares Fernsehen noch lange nicht ab und gibt Antworten zu den Fernsehformaten der Zukunft.
Wie lange kennen Sie Adlershof, welche Erinnerungen haben Sie an Ihren Start hier?
Beatrice Kramm: Den Standort kenne ich persönlich seit 1991. Es war eine Bitte von Studio Berlin, zu schauen, ob wir davon profitieren können, alle an einem Ort zu sein. Wir waren Pioniere und fühlen uns auch so.
Welchen Eindruck haben Sie heute vom Medienstandort?
Ich glaube tatsächlich, für eine Film- und Fernsehproduktionsfirma hat es der Standort heute nicht viel leichter als früher. Wir arbeiten mit kreativen Menschen, die Inspiration erwarten. Ihr ideales, kreatives Umfeld sind nicht unbedingt Wissenschaftsinstitute, sondern eher ein urbanes, lebendiges Umfeld. Das am Standort zu finden, ist ein bisschen schwierig, aber es klappt. Das Flair vor Ort hat sich komplett gewandelt.
Worin erkennen Sie Ihre ganz eigene Handschrift bei Polyphon?
In praktisch allen Projekten (lacht). In vielen schönen Serien, neuen Reihen und auch in der Neugier auf neue Programme. Ein Programm, das mit meinem Namen und der Polyphon eng verbunden wird, ist die Serie „Doctor’s Diary“. Sie war etwas ganz Neues im deutschen Fernsehen. Aber auch „Familie Dr. Kleist“ oder „Magda macht das schon!“ sind hochwertige Projekte, die ich selber entwickelt habe und die unser Spektrum ergänzen. Bis hin zur traditionsreichen Produktion „Das Traumschiff“ oder auch „Familie Braun“, eine unserer neuen, kleinen Kostbarkeiten, die wir in Berlin entwickelt und produziert haben.
Was heißt neu und innovativ für Sie mit Blick auf die Film- und Fernsehlandschaft?
Man sollte mit dem Begriff „neu“ nicht restriktiv umgehen. Jede Serie, die neu in den Sender kommt, ist erstmal neu. Das heißt, Leute haben sich Gedanken gemacht, welche Geschichten noch nicht erzählt worden sind, wie man Zuschauer vor das lineare Fernsehen bekommt. Neu heißt für mich auch, sich mit neuen Verbreitungsformen zu beschäftigen oder neuen Erzählmöglichkeiten und über den Tellerrand zu blicken, wenn es um Besetzungen, Regisseure und andere kreative Mitarbeiter geht.
Ist lineares TV nur noch etwas für Ältere?
Ich glaube, lineares Fernsehen ist für Leute, die nicht interaktiv sein wollen. Leute, die viel arbeiten, die keine Lust haben, im Internet ihr Programm zu suchen. Lineares Fernsehen wird es noch sehr, sehr lange geben. Ich nenne es das Laid-Back-Fernsehen.
Content wird für unterschiedliche Formate unterschiedlich entwickelt, oder?
Nach allgemeiner Meinung gehören kurze Formate ins Internet. Das ist falsch formuliert. Kurze Formate gehören in den Kontext von kurzen Formaten, also YouTube, Facebook, in eine bestimmte Netzwerkrubrik. Über das Internet kann man aber auch lange Formate gucken – siehe Mediatheken. Content richtet sich nach der Plattform. Wenn wir Plattformen mit einer spezifischen Nutzergruppe begeistern wollen, versuchen wir, Stoffe und Formate dahin zu entwickeln. Die gute Idee steht aber in jedem Format an erster Stelle.
Wie reagiert Polyphon auf die veränderten Sehgewohnheiten der Zuschauer?
Es ist kein Geheimnis, dass immer weniger Leute lineares Fernsehen schauen. Viele sehen allerdings dieselben Programme im Internet. Wir überlegen genau, welchen Content wir für Sky, für Netflix oder die Strukturen, die hauptsächlich übers Internet gesteuert werden, produzieren können. Ohne dabei unsere Mainstream-Programme fürs Fernsehen zu vernachlässigen. Denn das sind die Programme, die immer noch die größte Resonanz und Zuschauergemeinde haben. Am Ende des Tages setzt sich Qualität immer durch.
„Die alte Tante Fernsehen zwängt sich ins sexy Digital-Kleidchen. Ein altes Medium, das sich ein neues einverleibt, wirkt einfach nur zombiehaft“, schreibt die FAZ. Was sind für Sie Fernsehformate der Zukunft? Wie ergänzen und komplementieren sich neue und klassische Medien?
Ich glaube, es wird für ganz lange Zeit noch beide Medienarten geben. Ich möchte, dass Polyphon beide Verbreitungswege weiterhin bedient. „Familie Braun“ – fürs Internet gemacht – wurde im Fernsehen und im Internet ausgestrahlt und war auf beiden Wegen sehr erfolgreich. Das schließt sich nicht aus. Mit solchen kleinen Projekten fallen wir auf und zeigen, dass die Polyphon ein breites Portfolio hat.
RTL hatte kürzlich eine Sitcom-Offensive gestartet, bei der 330 Ideen eingereicht wurden. Nur drei werden umgesetzt. Eine davon ist die Polyphon-Produktion „Magda“. Finden Sie die Quote 3 von 330 erstaunlich?
Ich bin sehr stolz, dass wir das machen dürfen, und froh, dass sich unser Partner RTL so etwas wie „Magda“ traut. Das ist schon anders, als wir Comedy in Deutschland bisher gewohnt sind. Wenn ein Sender einen Aufruf startet, dann kommen wirklich viele Konzepte. Fünf Piloten wurden produziert. Drei werden dann zu Serien. Wichtig ist, dass Sender weiterhin produzieren. Die Quote überrascht mich nicht.
Die Serie „Deutschland 83“ wurde im Ausland hochgelobt und hatte in Deutschland nur schwache Quoten.
Nichtsdestotrotz ist es richtig und wichtig, zu versuchen neue Wege beim Serienerzählen zu gehen. Es bleibt komplex und schwierig, Zuschauer vor dem Bildschirm und über die erste Folge hinweg zu halten. Darum sage ich: Serien machen ist eine große Kunst.
Von Rico Bigelmann für Adlershof Journal